Lectrix – Notizen einer Leserin

26. Dezember 2007

Neil Gaiman: Stardust – Der Sternwanderer

Filed under: Neil Gaiman — Lectrix @ 23:00

Auch in diesem Jahr schenkten wir denen, bei denen wir die Weihnachtsfeiertage verbrachten, wieder ein Buch zum Vorlesen.

Unsere Wahl fiel aus verschiedenen Gründen auf „Stardust – Der Sternwanderer“ – sicherlich nicht zu letzt weil „Coraline“ in diesem Kreis bereits so gut ankam.

Berichtenswert ist in diesem Fall vermutlich aber eher, wie wir auf diese Geschichte aufmerksam wurden. Wir erfuhren von ihr nämlich durch eine Kinoankündigung – die Filmrezension klang vielversprechend, der Trailer war verlockend und als wir dann entdeckten, dass die Buchvorlage von Neil Gaiman stammte, war das Interesse endgültig geweckt und wir machten uns auf den Weg zur nächsten Buchhandlung, um uns genauer zu informieren. Dort fanden wir schnell heraus, dass es inzwischen bereits unterschiedliche Ausgaben (zumeist ‚zum Film‘) von verschiedenen Verlagen gibt, die zwar textidentisch zu sein scheinen (zumindest bei einigen Stichproben) sich aber in der Aufmachung doch sehr unterscheiden. Da es ein Geschenk werden sollte für jemanden, der Bücher zu schätzen weiß, entschieden wir uns für die Ausgabe vom Verlag Panini, denn zur Zeit enthält anscheinend nur diese die eigentlich dazu gehörenden und auch wunderbar passenden Illustrationen von Charles Vess.

Am 1. und 2. Weihnachtstag las uns unsere Gastgeberin das Buch dann in einem echten Vorlesemarathon vor, dem wir – völlig in Bann geschlagen – aufmerksam folgten.

Es handelt sich um ein wunderschönes Märchen für Erwachsene, das ich als solches uneingeschränkt weiterempfehlen kann.
(„als solches“, weil es mir für Kinder an einigen Stellen doch zu hart erscheint, auch wenn dem anwesenden Knaben dies nichts auszumachen schien.)


27. Dezember 2006

Neil Gaiman: Coraline. Gefangen hinter dem Spiegel

Filed under: Neil Gaiman — Lectrix @ 10:10

Auch dieses Jahr schenkten wir unseren Gastgebern an den Weihnachtsfeiertagen wieder ein Buch, welches gleichermaßen für Erwachsene spannend als auch für Kinder zum Zuhören geeignet erscheint, da an den Abenden wieder reihum vorgelesen werden sollte – wie es allmählich Tradition in unserem Kreis geworden ist.

Auf „Coraline. Gefangen hinter dem Spiegel“ stieß ich, als ich mich eigentlich nach weiteren Büchern von Neil Gaiman für mich umsah – aber da die Beschreibung „Horrorbuch für Kinder“ bzw. „modernes Gruselmärchen“ vielversprechend klangen, konnte ich nicht widerstehen, diese Geschichte zum Vorlesen auszuwählen.

Und wir wurden nicht enttäuscht:
„Coraline. Gefangen hinter dem Spiegel“ bietet eine spannende Geschichte mit jede Menge Grusel. Aber der Horror scheint für Erwachsene schlimmer zu sein, als für Kinder, die einige Passage wesentlich cooler hinnahmen als wir Erwachsenen das konnten, die es grauste…

»Coraline?«
Das klang nach ihrer Mutter. Coraline ging in die Küche, aus der die Stimme gekommen war. In der Küche stand eine Frau, die Coraline den Rücken zuwandte. Sie sah ein bisschen wie Coralines Mutter aus. Außer…
Außer dass ihre Haut so weiß wie Papier war.
Außer dass sie größer und dünner war.
Außer dass sie zu lange Finger hatte, die ständig in Bewegung waren. Und blutrote Fingernägel, die gekrümmt waren und ganz spitz zuliefen.
»Coraline?«, sagte die Frau. »Bist du’s?«
Und dann drehte sie sich um. Ihre Augen waren große, schwarze Knöpfe.
»Es gibt gleich Mittagessen, Coraline«, sagte die Frau.
»Wer bist du?«, fragte Coraline.
»Ich bin deine andere Mutter«, sagte die Frau.
(Neil Gaiman: Coraline. Gefangen hinter dem Spiegel, München: Heyne 2005, S. 34)


27. Juli 2006

Terry Pratchett & Neil Gaiman: Ein gutes Omen

Filed under: Neil Gaiman,Terry Pratchett — Lectrix @ 21:56

Vor einigen Jahren (Anfang/Mitte 1998 war es vermutlich) lasen wir uns diesen Roman schon einmal gegenseitig vor und amüsierten uns dabei herrlich.
Nachdem wir nun ein so vergnügliches Buch von Terry Pratchett lasen (MacBest) und eine so packende Geschichte von Neil Gaiman (Niemalsland), was lag da näher, als sich dieses Gemeinschaftsprojektes zu entsinnen und es im nächsten Buchladen zu bestellen.
Mittlerweile haben wir es schon wieder durch und ich meine, wir amüsierten uns sogar noch mehr als beim ersten Mal.

Womit sollte man beginnen, wenn man einen Roman über den Weltuntergang schreiben möchte? Terry Pratchett und Neil Gaiman entschieden sich dafür, mit dem Gespräch zwischen einem Engel – der das Osttor des Paradieses bewacht und dessen Name Erziraphael lautet – und einem Dämonen – der in der Gestalt einer Schlange auftritt und Kriecher heißt – einzusetzen, kurz nachdem diese sich das erste Mal in die Belange der Menschen einmischten. Beide überlegen bereits, ob sie Fehler gemacht haben. Die Schlange zweifelt, ob es wirklich schlecht war Adam und Eva zum Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis zu verleiten. Und auch der Engel fragt sich besorgt, ob er den Menschen sein Flammenschwert wirklich hatte schenken sollen. Aber er hatte solches Mitleid mit Ihnen, als sie vertrieben wurden, denn er fürchtete, dass sie frieren würden und den wilden Tieren schutzlos ausgeliefert seien…

Dann werden knapp sechstausend Jahre übersprungen und die Geschichte setzt in der Nacht der Ankunft des Antichristen, des Sohnes Satans, im England unserer Tage wieder ein. „Es war keine dunkle und stürmische Nacht. Eigentlich sollte es eine dunkle und stürmische Nacht sein, aber auf das Wetter ist eben kein Verlaß.“ Crowley, wie sich Kriecher inzwischen nennt, bringt das Baby zwar dem ihm von unten erteilten Auftrag gemäß zu einem Kloster satanischer Nonnen, wo es gegen das Neugeborene der Frau eines amerikanischen Botschafters ausgetauscht werden soll. Er trifft sich aber bald darauf mit dem Engel Erziraphael, der ebenfalls immer noch auf Erden weilt, und verrät ihm den teuflischen Plan: Am elften Geburtstag des Antichristen wird der Höllenhund zu ihm kommen und kurz darauf wird er die Apokalypse heraufbeschwören.
Gemeinsam wollen der Engel und der Dämon versuchen, den Weltuntergang noch ein wenig hinaus zu zögern, denn eigentlich fühlen sich beide inzwischen auf der Erde ganz wohl…

Neil Gaiman und Terry Pratchett lassen folgend ein Feuerwerk skuriller Ideen auf den Leser los, die sich grob an den Offenbarungen des Johannes orientieren, den Film ‚Das Omen‘ parodieren und auf die Prophezeihungen des Nostradamus anspielen, aber alles in unsere Zeit übersetzt, wodurch von Ihnen mit Humor – aber dennoch durchaus kritisch – nebenbei auf etliche soziale und umweltpolitische Problematiken und gesellschaftliche Fehlentwicklungen hingewiesen wird.

Beispielhaft für die vorgenommenen Modernisierungen kann man vielleicht anführen, dass die vier Apokalyptischen Reiter nicht mehr auf Rössern herannahen, sondern als wahre Hell’s Angels auf Motorrädern unterwegs sind. Es handelt sich im Übrigen nicht mehr um Krieg, Hunger, Pestilenz und TOD, sondern nun um Krieg, Hunger, Umweltverschmutzung und TOD. Pestilenz hatte sich nämlich 1936, nach Erfindung des Penizilins, in den Ruhestand zurückgezogen. Umweltverschmutzung war die Nachfolge angetreten, da er die Zukunft für vielversprechend hielt. Andere passten ihr Vorgehen den veränderten Zeiten an:

Sable hatte schwarzes Haar einen sorgfältig gepflegten schwarzen Bart und gerade beschlossen, eine Aktiengesellschaft zu gründen.
Er stieß mit seiner Buchhalterin an.
»Wie läuft’s, Frannie?« fragte er sie.
»Bestens. Bisher haben wir zwölf Millionen Exemplare verkauft. Ist das zu fassen?«
[…]
Ein Skelett unterbrach sie. Aber es war kein gewöhnliches Skelett. Dieses Skelett trug ein Dior-Kleid, und sonnengebräunte Haut spannte sich fast bis zum Zerreißen straff über die Knochen des Schädels. Es hatte langes blondes Haar und perfekt geschminkte Lippen. Ja, Sie haben richtig getippt: eine Frau. Sie sah aus wie eine jener Personen, auf die Mütter zeigen, um ihre Sprößlinge zu warnen: ›Das passiert mit dir, wenn du dein Gemüse nicht ißt.‹ Kennen Sie die Plakate, die auf Hungersnöte in Afirka hinweisen und um Spenden bitten? Diese Frau hätte dafür sorgen können, daß sich die Kassen der verschiedenen Hilfsorganisationen innerhalb weniger Tage füllen.
Sie war das berühmteste Fotomodell New Yorks – und sie hielt ein Buch in der Hand. »Äh, bitte entschuldigen Sie, Mister Sable. Ich möchte Sie nicht stören, sondern mich nur bei Ihnen bedanken, weil Sie mein Leben geändert haben. Wären Sie vielleicht so nett, Ihr Werk für mich zu signieren?« Ihre tief in den Höhlen liegenden, üppig mit Lidschatten bemalten Augen starrten Sable flehentlich an.
Er nickte großzügig und nahm das Buch entgegen.
Es überraschte ihn nicht, daß ihn die Frau erkannt hatte: die silberne Rückseite des Covers zeigte sein Foto. D-Plan Diät: Wie man schlank und attraktiv wird lautete der Titel. Und: Das Diät-Buch des Jahrhunderts!
(Terry Pratchett & Neil Gaiman: Ein gutes Omen, 2. Auflage, München: Pieper 2006, S. 74-76)


19. Juli 2006

Neil Gaiman: Niemalsland

Filed under: Neil Gaiman — Lectrix @ 12:02

Von diesem Roman ließen wir uns von Anfang an fesseln. Kaum hatten wir die ersten Seiten gelesen, waren wir neugierig darauf, wie es weitergeht und worauf es hinauslaufen wird. Und so lasen wir uns dieses Buch in erstaunlich kurzer Zeit gegenseitig vor, da wir jede freie Minute nutzen, um fortzufahren.

Neil Gaiman entführte uns in eine Fantasy-Welt, die nicht irgendwann sonstwo liegt, sondern parallel zu der uns bekannten Welt (genauer London) zu existieren scheint, allerdings relativ ungebunden an unsere Zeitvorstellungen ist. Ein wahres Niemalsland.

Es handelt sich um eine recht archaische Welt, die bevölkert wird von zum Teil äußerst skurilen Gestalten. Jedoch gibt es auch eine Menge Kontaktpunkte mit dem, was wir als Realität auffassen. Viele der Bewohner Unter-Londons, waren nämlich zuvor Menschen Londons, bis sie durchs Netz fielen. Einige Wenige führen eine Art Halbleben. Die meisten haben mit den Menschen von Ober-London aber direkt nichts mehr zu tun. Sie nutzen nur deren U-Bahnen und Kanalisationsanlagen als Wege und deren Katakomben und Geisterbahnhöfe als Wohnstätten. Und das macht den besonderen Reiz aus, denn bald schon beginnt sich der Leser zu fragen, warum bestimmte U-Bahnhöfe bestimmte Namen tragen. Heißt der Bahnhof so, weil dort diese Gruppierung wohnt, oder wohnen da solche Gestalten, weil der Bahnhof so heißt. Eine Frage, die im Verlauf des Buches zwar nicht geklärt wird, aber auch gar nicht unbedingt geklärt werden muss. Der Einfallsreichtum Neil Gaimans bezaubert auch so.

Alles beginnt damit, dass der junge Investment-Banker Richard Mayhew eines Abends ein jung wirkendes Mädchen in zerlumpter Kleidung und offensichtlich schwer verletzt auf dem Gehweg liegen sieht und es mit zu sich nach Hause nimmt, da es nicht will, dass er einen Krankenwagen für es ruft. Bis dahin führte er ein recht normales Leben. Er hatte eine attraktive Verlobte, einen guten Job und eine schöne Wohnung.
Nachdem er für das Mädchen, welches sich als Door vorstellte, nach dessen Anweisungen auf recht skurile Weise Hilfe organisierte, muss er feststellen, dass ihn niemand mehr wahrzunehmen scheint. Kein Taxi hält, als er danach winkt, sein Schreibtisch steht nicht mehr an seinem Platz, sein bester Freund erkennt ihn nicht, seine Wohnung wird von Interessenten besichtigt und selbst der Geldautomat akzeptiert seine Kreditkarten nicht mehr. Es scheint ihn aber auch niemand zu vermissen. Vielmehr verhält sich alles so, als ob er nie existiert hätte.
In der Hoffnung, mit ihrer Hilfe wieder in sein vorheriges Leben zurückkehren zu können, sucht Richard Mayhew das Mädchen Door, wodurch er nach Unter-London gerät.
Door ihrerseits versucht die Hintergründe der kürzlich erfolgten Ermordung ihrer ganzen Famile, eines Adelsgeschlechts Unter-Londons, herauszufinden und zu ergründen, weshalb die Horrorgestalten Mr. Vandemar und Mr. Croup sie selbst verfolgen…

Mehr sollte ich von der Handlung nicht verraten, will ich zukünftigen Lesern nichts von der Spannung rauben. Darum stattdessen abschließend eine Aneinanderreihung das Buch beschreibender Adjektive: fantasievoll, zum Teil grausam, aber manchmal auch romantisch, durchaus humorvoll, oft düster, aber irgendwie auch bunt, gespickt mit amüsanten Einfällen, durchgängig spannend und immer wieder überraschend!


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