Lectrix – Notizen einer Leserin

13. Februar 2007

Bertolt Brecht: Drei Groschen Roman

Filed under: Bertolt Brecht — Lectrix @ 8:21

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es Mal wieder Zeit für einen Klassiker würde. Auf die Weimarer-Klassiker oder Vergleichbares hatte ich aber keine Lust. Also entschloss ich mich, endlich den „Drei Groschen Roman“ zu lesen, was ich schon seit Jahren machen wollte, aber irgendwie immer wieder darüber hinweg kam. Für diesen Entschluss wurde ich belohnt, denn dieser Roman, den Bertolt Brecht 1934 verfasste, hat es wahrlich in sich.

Auch wenn er in seiner Ausdrucksweise zunächst etwas ungewohnt zu lesen ist und vordergründig als Gaunergeschichte angelegt scheint, stellt der „Drei Groschen Roman“ mit seinen satirisch überzeichneten Charakteren doch vor allem eine Gesellschafts-, Kapitalismus- und Kriegskritik dar, die sich vom gewählten Schauplatz London zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sicherlich nicht nur auf die 20er und 30er Jahre in Deutschland übertragen lässt, sondern auch auf andere Länder und Zeiten.

Ein wenig verwirrend ist für diejenigen, die (wie ich) die Dreigroschenoper kennen, zudem zunächst, dass im Dreigroschenroman zwar viele Protagonisten der Dreigroschenoper auftreten, diese aber wesentlich vielschichtiger und weiterentwickelt sind, wodurch konsequenter Weise auch das Geschehen einen gänzlich anderen Verlauf nimmt. Dieser Wechsel von Wiedererkennen und mit Spannung verfolgen, wie es in diesem Fall weiter geht, macht beim Lesen einen besonderen Reiz aus.

So kommt z.B. Mackie Messer im Dreigroschenroman gar nicht mehr direkt vor. Aus Andeutungen lässt sich jedoch erkennen, dass Macheath in seiner Vergangenheit wohl Mackie Messer war, sich aber inzwischen dem „ehrlichen“ Geschäftsleben zugewandt hat und nun auf dem Markt durch zu setzen versucht.

Es gab eine ganze Anzahl von Läden gleicher Aufmachung in London, wo Waren billiger als anderswo waren. Sie hießen B.-Läden. Das sollte Billigkeitsläden heißen: einige Leute , vornehmlich Ladenbesitzer, lasen es jedoch als Betrugsläden. Man konnte von Rasierklingen bis zu Wohnungseinrichtungen alles ungewöhnlich billig bekommen und im großen und ganzen war die Geschäftsführung reell. Die ärmere Bevölkerung kaufte gern in diesen Läden, aber die Besitzer anderer Läden und die kleinen Handwerker waren über sie sehr aufgebracht. Diese Läden gehörten Herrn Macheath. Er hatte noch einige andere Namen. Als Besitzer der B.-Läden nannte er sich ausschließlich Macheath.
(Bertolt Brecht: Drei Groschen Roman, o.A.d.O.: Rowohlt 1959, S. 47)

Wie in der Dreigroschenoper entscheidet sich Peachums Tochter Polly zur Ehe mit Macheath – allerdings kann ich mich nicht entsinnen, dass sie es in der Oper tat, um ihren bereits in Folge anderer Techtelmechtel vorhandenen anderen Zustand zu verheimlichen.

Sie [Polly] hatte ein Gefühl der Geborgenheit bei Mac. Das war kein junger Schnösel wie Smiles, der überhaupt keine Verantwortung kannte. Als Mac von heimlicher Heirat sprach stellte sie sich vergnügt das Gesicht ihres Vaters vor, wenn er die Sache erfahren würde.
(Bertolt Brecht: Drei Groschen Roman, o.A.d.O.: Rowohlt 1959, S. 84)

Und tatsächlich – wie in der Oper – ist Peachum absolut gegen die Verbindung seiner Tochter mit Macheath, im Roman aber weniger aus moralischen Bedenken als viel mehr, weil er sie als Unterpfand für eigene geschäftliche Pläne und daraus resultierende Probleme benötigt. Peachum ist nämlich zwar wie in der Oper Inhaber der Firma „Bettlers Freund“, diese wirkt im Roman aber bereits viel professioneller und durchorganisierter.

Um der zunehmenden Verhärtung der Menschen zu begegnen, hatte der Geschäftsmann J.J. Peachum einen Laden eröffnet, in dem die Elendsten der Elenden sich jenes Aussehen erwerben konnten, das zu den immer verstockteren Herzen sprach. […]
Den Bettlern, die sich Peachum anvertrauten, gelang es bald besser, Einnahmen zu erzielen. Sie willigten ein, ihm für seine Mühe etwas von ihrem Verdienst abzulassen. […]
Trotzdem ruhte er nicht auf diesen Lorbeeren aus. Unermüdlich war er bestrebt, seine Leute zu qualifizieren. In einigen Räumen seines nun schon bedeutend vergrößerten Geschäftshauses wurden die Bettler, die sich immer mehr in Angestellte verwandelten, nach strenger Eignungsprüfung in fachgemäßem Zittern, Blindgehen usw. unterrichtet. Peachum duldete keinen Stillstand. […]
Nach etwa 25 Jahren aufreibender Tätigkeit besaß Peachum drei Häuser und ein blühendes Geschäft.
(Bertolt Brecht: Drei Groschen Roman, o.A.d.O.: Rowohlt 1959, S. 19-21)

Darüber hinaus lässt sich Peachum im Roman von dem Makler Coax – der soweit ich mich erinnere in der Oper gar nicht vorkam – zur Beteiligung an einer „Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen“ überreden.

William Cox war von Beruf Makler. Seiner Visitenkarte nach hatte er irgendwo in der City ein Büro; jedoch gab es kaum jemand, der je dorthin gekommen wäre, nicht einmal er selber suchte es auf. Es hätte auch gar keinen Zweck gehabt, denn es saß dort nur ein blasses, abgehärmtes Mädchen mit einer alten Schreibmaschine, deren Lettern in Unordnung waren, was nichts machte, da sie nicht zum Schreiben da war. Das Mädchen saß auch nur da, um die Post abzuwarten, und die kam hierher, damit Herrn Coax niemandem seine Wohnung bekannt geben mußte. Denn er empfing niemanden in seiner Wohnung, sondern machte alle seine Geschäfte im Restaurant ab. […]
Wenn er auch keine teuren Angestellten hatte, so war er doch darum nicht ohne Hilfe. In gewissen Ministerien saßen Leute, die ihm mindestens so nützlich waren wie ein paar unverschämte und faule Buchhalter.
Einen solchen Mann hatte er zum Beispiel im Marineministerium.
(Bertolt Brecht: Drei Groschen Roman, o.A.d.O.: Rowohlt 1959, S. 31 f.)

Und so droht die „Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen“ schon bald allen – außer Coax – statt Gewinnen nur Verluste zu bringen, weshalb Peachum Coax mittels seiner Tochter an sich binden möchte und diese darum von Macheath getrennt braucht.

Damit habe ich die Grundkonstellation umrissen. Denjenigen, die nun interessiert, wie die drei Herren Peachum, Macheath und Coax ihre kriminellen Energien einsetzen, um sich in der „ehrlichen“ Geschäftswelt Vorteile zu verschaffen, andere auszunutzen und Konkurrenten aus dem Wege zu räumen, welche Rückschläge sie zwischenzeitlich hinnehmen müssen und wer sich am Ende durchsetzen wird, sowie vielleicht auch, wie es dabei den Menschen in ihrem Umfeld ergeht und wer von diesen geopfert wird und vor die Hunde geht, empfehle ich den „Drei Groschen Roman“ selbst in die Hand zu nehmen und sich diese Lektüre zu gönnen.


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