Lectrix – Notizen einer Leserin

18. Mai 2008

Françoise Dorner: Die letzte Liebe des Monsieur Armand

Filed under: Françoise Dorner — Lectrix @ 13:00

Eine liebenswerte Geschichte, die ich dieses Wochenende mit Genuß las.

Mit Gespür für die leisen zwischenmenschlichen Töne, sowohl für unauffällige Aufmerksamkeiten als auch für unterschwellige Gemeinheiten, sowie einer gehörigen Portion Humor erzählt Françoise Dorner von dem verwitweten älteren Herrn Monsieur Armand und der noch auf der Suche befindlichen jungen Frau Pauline, die nach und nach eine innige Beziehung zueinander aufbauen. Dabei geht es weniger um Sexualität als um Respekt. Etwas, was beide ersehnen, doch von Ihrer sonstigen Umgebung vermissen.

»Komisch, daß sie gedacht hat, Sie wären mein Großvater! Finden Sie, daß wir uns ähnlich sind?«
Verdattert sah ich sie an. Ich hatte die Mutmaßung ihrer Chefin dem Altersunterschied zugeschrieben, und sie dachte ganz schlicht an Familienähnlichkeit.
»Schon möglich, daß wir etwas gemeinsam haben. Sie sind aber nicht verpflichtet, mit mir zu essen, Pauline.«
Mit verschmitztem Lächeln zog sie mich vorwärts. Im Gehen kostete ich den Augenblick aus, in dem ich sie zum erstenmal beim Vornamen genannt hatte. Bei einer kleinen Grünanlage hinter einer Kirche sagte sie, ich solle die Augen zumachen und auf sie warten. Vergnügt schloß ich die Augen. Nach einigen langen Minuten riß ich sie wieder auf, von jäher Angst gepackt, sie hätte mich vergessen. Oder hätte jemanden Interessanteres getroffen als mich. Doch da kam sie gelaufen. Aus einer Papiertasche zog sie zwei Coca-Cola, zwei Portionen Ketchup und zwei Hot dogs. Welche Schmach, so alt zu sein, dachte ich, nicht des Alters wegen, sondern weil ich im Lauf der Jahre so viel Gleichgültigkeit, Frechheit und Verrat erlebt hatte, daß ich niemandem mehr traute.
»Mögen Sie Hot dogs?«
Würstchen mit Ketchup hatte ich wohl seit einem halben Jahrhundert nicht gegessen. Coca-Cola hingegen trank ich bisweilen, hinterm Rücken meiner Kinder. Cola, Zigaretten, Philosophie, Stille, alles, was ich liebte, verabscheuten sie.
»Ja, sehr«, sagte ich leise. »Was bin ich schuldig?«
»Sie bezahlen das nächste Mal«, damit öffnete sie ihr Tütchen Ketchup.
»Mit Vergnügen«, sagte ich, um einen sachlichen Ton bemüht, und schnappte mir forsch die Cola wie ein Junger.
(Françoise Dorner: Die letzte Liebe des Monsieur Armand, Zürich: Diogenes 2007, S. 25 f.)

Nachträge


Powered by WordPress