Lectrix – Notizen einer Leserin

19. April 2007

Paul Claes: Der Phoenix

Filed under: Paul Claes — Lectrix @ 22:00

Inzwischen habe ich nun auch das Buch gelesen, das ich eigentlich für die Osterfeiertage mitgenommen hatte: „Der Phoenix“ von Paul Claes.

Es wurde von mir nicht gezielt aus der Bibliothek ausgeliehen, sondern fiel mir ins Auge als ich im Regal eigentlich nach einem weiteren Buch von Jonathan Carroll suchte. Der Titel erregte meine Aufmerksamkeit und folgende Behauptung auf dem Umschlag weckte meine Neugierde:

Was Umberto Eco mit »Der Name der Rose« begann, hat Paul Claes mit »Der Phoenix« in der Renaissance fortgesetzt.

Und jetzt stehe ich vor der Herausforderung, diesem Werk in einem Beitrag hier gerecht zu werden…
…eine Aufgabe, die nicht leicht fällt, obwohl ich das Buch mit großem Interesse las.

Vielleicht beginne ich damit, zu erwähnen, dass es sich zumindest im Prinzip um einen Krimi handelt: Der Dichter Angelo Poliziano verstirbt unerwartet an heftigem Fieber. Giovanni Pico della Mirandola zweifelt daran, dass sein Freund eines natürlichen Todes starb und versucht zu ermitteln, was wirklich geschah. Seiner Ausbildung und seinen Überzeugungen gemäß geht er recht philosophisch an den Fall heran:

Pico stellte sich die sieben Fragen, die jeder Anwalt zur Sprache bringen muss, wenn er in der Öffentlichkeit ein Verbrechen untersucht. Laut rezitierte er den lateinischen Vers, der sie memorierte: Quis, quid, ubi, quibus, auxiliis, cur, quomodo, quando? Wer, was, wo, womit, warum, wie, wann?
Wer? war die Frage nach dem Schuldigen des Verbrechens. Diese Frage konnte erst definitiv beantwortet werden, nachdem auf alle anderen Fragen eine Antwort gefunden war.
Was? war die Frage nach dem Gegenstand des Verbrechens. Bei einer Tat mit Todesfolge war das wichtigste Beweisstück die Leiche selbst, das corpus delicti.
Wo? […]
Womit? […]
Warum? war die Frage nach dem Motiv des Verbrechens. Jedes Verbrechen war die Folge einer menschlichen Schwäche. Das Mordmotiv war vermutlich eine Todsünde. Pico erwog die verschiedenen Möglichkeiten und kam dabei zu sechs verschiedenen Geschichten: Neid, Habsucht, Wollust, Zorn, Gier, Stolz. Konnte man auch aus Trägheit morden? Er zweifelte und verwarf schließlich diese Möglichkeit.
Wie? […]
Wann? […]
Pico war mit seiner Denkarbeit zufrieden. Frau Dialectica hatte ihren Diener noch nie im Stich gelassen und würde es auch diesmal nicht tun. In diesem Augenblick fasste sein unbeugsamer Wille den Entschluss, den Freund zu rächen und dessen Feind zu bestrafen, indem er das Verbrechen durch logisches Nachdenken aufklärte.
Aber wer war dieser geheimnisvolle Feind Polizianos gewesen?
(Paul Claes: Der Phoenix, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2001, S. 80 f.)

Während sich diese Herangehensweise mit heutigen Ermittlungsverfahren noch größtenteils deckt – auch wenn sich moderne Kriminalisten der lateinischen Formulierungen und der antiken Ursprünge nicht mehr bewusst sein mögen -, ist die Verwendung der Methoden der Kabbala und auch der Versuch den Täter durch Interpretation eines Gemäldes von Botticelli zu ermitteln dann eher ungewöhnlich.

Doch auch wenn der Fall letztendlich aufgeklärt wird und die Auflösung in sich stimmig ausfällt, geht es in diesem Buch eigentlich weniger um einen Mord und dessen Aufklärung.

Es handelt sich meines Erachtens vielmehr um einen Versuch die Überzeugungen und Ziele des Humanisten und Philosophen Giovanni Pico della Mirandola in ansprechender Verpackung zu vermitteln. Dazu wird in recht langen Rückblenden auf dessen bisheriges Leben eingegangen und seinen Überlegungen Raum gegeben:

Averroes hatte die Lehre von der Doppelten Wahrheit verteidigt: Die göttliche Offenbarung wie die menschliche Vernunft besaßen je einen unterschiedlichen Bereich; Theologie und Philosophie waren unvereinbar. Pico hatte jedoch nie hinnehmen wollen, dass der Gott der Theologen ein anderer sein könnte als der Gott der Philosophen. Er wollte beide, den göttlichen Vater und den menschlichen Sohn, in der Einheit des Geistes miteinander versöhnen.
Aber bevor er Religion und Philosophie vereinen konnte, musste er zuerst beweisen, dass alle Philosophen im Grunde dasselbe behaupteten, selbst diejenigen, die sich am unversöhnlichsten gegenüberstanden: die Platoniker und die Peripatetiker, die Realisten der Idee und die Nominalisten der Kategorie.
Er wollte nicht auf das Wort nur eines Herrn schwören, sondern so viele Gelehrte wie möglich hören, ihre Werke studieren und jede philosophische Schule kennen lernen. Wie Aristoteles akzeptierte er nur einen Ehrentitel, ho anagostes, der Leser.
(Paul Claes: Der Phoenix, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2001, S. 45)

Da die Handlung im Florenz des Jahres 1494 angesiedelt ist, kann darüber hinaus auch noch ein kleines Sittengemälde der italienischen Renaissance entworfen sowie der Konflikt zwischen den Medici und Savonarola, der den Gottesstaat errichten will, aufgenommen werden, da die ambivalente Stellung Giovanni Pico della Mirandola gegenüber diesen beiden Parteien natürlich Auswirkungen auf sein Verhalten und seine Einschätzung der Lage hat.

Insgesamt also ein sehr vielschichtiges Buch.

Die Lektüre ist zugegeben nicht ganz einfach,
aber aufgrund der vielen Verknüpfungen ausgesprochen interessant.


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