Michael Böckler: Sterben wie Gott in Frankreich
Dieser Roman wurde mir von einer Freundin geliehen, die sich sicher war, dass er mir gefallen würde.
Sie hatte Recht. Ich habe ihn in meinem Urlaub mit größtem Genuss gelesen.
Neben reizvollen Beschreibungen Südfrankreichs und einer schönen Liebesgeschichte bietet dieser Roman einen durchdachten Kriminalfall, der vielleicht nicht sonderlich reißerisch und in diesem Sinne fesselnd sein mag, aber aufgrund der ungewöhnlichen Thematik und der damit verbundenen andersartigen Leidenschaften durchweg interessant bleibt und schließlich zu einer stimmigen Lösung führt.
Als wohltuend empfand ich insbesondere den niveauvollen Schreibstil, auf den man – meines Erachtens – bei modernen Krimis allzu oft verzichten muss, weil entweder zu viele meinen, dass es bei diesem Genre nicht darauf ankommt, oder sogar die Auffassung vertreten, dass Geschichten mit einem Privatermittler ’schnoddrig‘ klingen müssten.
Aber der Privatermittler dieses Romans, Hippolyt Hermanus, hat nicht nur einen ungewöhnlichen Namen, sondern ist auch durchaus außergewöhnlich. Eine gehobenere Ausdrucksweise passt sowohl zu ihm als auch zu seinem Sujet. Sein erster Auftritt im Rahmen einer exklusiven Weinverkostung ist sehr gelungen, aber zu lang zum Zitieren und soll deshalb dem Lesen im Gesamtzusammenhang vorbehalten bleiben. Als Leseprobe wurde deshalb seine nachfolgende Vorstellung heran gezogen:
Praunsberg stellte die Flasche wieder ab und wendete sich an seinen Freund Karl, der Hipp mitgebracht hatte. »Ich denke, du bist uns eine Erklärung schuldig!«
Karl Talhammer hob grinsend und in gespielter Verzweiflung die Hände in die Höhe. »Weil du mich nie ausreden lässt. Du bist selbst schuld. Ich wollte dir doch zu Beginn unbedingt erzählen, dass Hipp Hermanus ein Spezialgebiet hat. Aber du wolltest nichts davon wissen…«
»Du hast gesagt. er ist Psychologe, war bei der Polizei und arbeitet jetzt als privater Ermittler.«
»Siehst du, du unterbrichst mich schon wieder«, entgegnete Talhammer. »Er arbeitet als privater Ermittler, das ist richtig, aber fast ausschließlich auf seinem Spezialgebiet, und das sind nun mal die Weine.«
»Was gibt es da zu ermitteln? Etwa die Rebsorte und den Jahrgang?«, fragte Schmid.
»Nein, rund um den Wein, vor allem bei den teuren Flaschen und den so genannten Raritäten gibt es viele Betrügereien«, erklärte Karl Talhammer. »Erst heute haben wir mit Hilfe von Hipp Hermanus einen geschickt angelegten Versicherungsbetrug eines Privatsammlers aufgedeckt, der uns über eine Million Euro gekostet hätte. Vorige Woche sind bei einer Auktion in London einige Flaschen Château d’Yquem aus dem 19. Jahrhundert unter den Hammer gekommen. Hipp ist sich sicher, dass sie aus einem schon länger zurückliegenden Einbruch in England stammen und dass die Dokumente über die Herkunft manipuliert sind. Und dann gibt es noch all diese Fälschungen, sündteure Flaschen, in denen alles Mögliche ist, aber nur nicht der Wein, der auf den Etiketten steht.«
»So etwas gibt es?« Schmid schaute entsetzt.
»Ja, leider«, erklärte Praunsberg, »diese Raritäten werden gehandelt, versteigert, unter der Hand verkauft…«
»… und versichert«, fuhr Talhammer fort. »Wenn da jemand ermitteln soll, dann muss er sich bei Weinen extrem gut auskennen. Hipp ist aus sehr privaten Gründen aus dem Polizeidienst ausgeschieden, hat sich scon immer intensiv mit Wein beschäftigt und besitzt sogar einen Abschluss an der berühmtesten Sommelier-Schule in Bordeaux. Mit dieser Kombination, erstens Psychologe, zweitens ehemaliger Sonderermittler bei der Polizei und drittens Weinexperte, ist er für uns unersetzbar. Auch wenn er als Mensch nicht immer ganz einfach ist und so seine Eigenarten hat…«
(Michael Böckler: Sterben wie Gott in Frankreich. Ein Wein-Roman, München: Knaur 2004, S. 37-39)
Damit dürfte nun auch hinreichend geklärt sein, dass – auch wenn Morde geschehen und aufgeklärt werden sollen – Wein das eigentliche Thema liefert. Sei es als Tatwaffe, Motiv, Leidenschaft oder allgegenwärtige Begleitung.
Sehr erfreulich fand ich bei der Lektüre insbesondere, das von Michael Böckler angewendete Mittel, über die vielen Informationen zu Weinen und Besonderheiten der französischen Regionen, die schon angenehm in die Geschichte verpackt sind, häufig am Seitenrand auch noch ergänzende Erklärungen unterzubringen, die dem weinunkundigen Laien das Verständnis erleichtern oder auch einfach interessante Zusatzinformationen liefern, die in den Text zu integrieren unpassend und den Lesefluss hemmend gewesen wären, aber mir dennoch äußerst willkommen waren.
Das recht umfangreiche Supplement am Ende des Buches, in dem die an den Seitenrändern aufgeführten und noch weitere Informationen enthalten sind, ist zum Nachlesen geeignet.
Ich habe bei der Lektüre auf jeden Fall recht viel über Wein gelernt
– bin aber vor allem angeregt worden, bewusster Wein zu trinken.
Der Roman führt also noch über das Lesen hinaus zu Genuss.