Als ich einer Freundin erzählte, dass ich dieses Jahr den Sportbootführerschein Binnen machte, lieh sie mir sofort dieses Buch, welches sie im Rahmen Ihrer Beschäftigung mit der skandinavischen Literatur las, aber meinte, dass mich die Segelszenen ebenfalls faszinieren könnten.
Und wirklich – auch wenn mich die Überquerung der Nordsee und das Segeln vor der Atlantikküste im Winter überhaupt nicht reizt und mein Segelschein für diese Gewässer auch nicht gedacht ist, haben mich sowohl die Beschreibungen der zu ertragenden widrigen Witterungsverhältnisse als auch der zu berücksichtigenden oder zu bewältigenden Gezeitenströmungen vor und zwischen den vorgelagerten Inseln fasziniert – wobei vor allem das Durchbrechen des „Great Race“ Corryvreckan in seiner ganzen Tollkühnheit beeindruckend eingefangen wurde.
Besonders packend fand ich jedoch natürlich die Szenen, die sich in Bereichen ereigneten, die ich aus eigener Anschauung kenne, wie zum Beispiel Kanäle mit Schleusen und Drehbrücken, die in einem Thriller durch gezielte Sabotageakte durchaus ebenfalls Probleme aufwerfen können:
Das Durchfahren eines Kanals ist einfach. Es gibt keine Gefahren. Wir waren gerade um eine Biegung gekommen und vor uns lag »Neptun’s Staircase«, die vorletzte Schleusenanlage vor dem Atlantik, eine Schleusentreppe, die aus acht aufeinanderfolgenden Kammern bestand. Am Ende befand sich eine Drehbrücke. […]
Ich sprang an Deck, um unsere Leinen vorzubereiten, zwanzig Meter lange, ein halben Zoll dicke Polyesterleinen, von denen jede sieben Tonnen aushielt. Wir hätten die Rustica mit ihnen hochheben können. Ich hatte zu viele Schreckensgeschichten über Strömungen in Schleusen gehört und wollte kein Risiko eingehen.
Aber es war alles so ruhig, daß wir das Boot mit einem um den Finger gelegten Bindfaden hätten halten können. Wir standen auf der Kaimauer, jeder mit einer Leine. Die Rustica war mit alten Autoreifen gut abgefedert. Als die Tore sich öffneten, verholten wir sie per Hand in die nächste Schleusenkammer, wo die Prozedur von vorn begann. […]
Vor der letzten Schleuse gingen wir wieder an Bord, nachdem wir die Leinen so um die Poller gelegt hatten, daß wir die Länge leicht verändern konnten, wenn der Wasserspiegel sank. Kurze Zeit hielt ich zwei Leinen in der Hand, während Torben unten Kaffee holte. Er kam im selben Moment zurück, als sich das letzte Tor öffnete. Ich hatte mich gerade gebückt und wollte den Motor starten. Die Leinen hatte ich schon eingeholt und hatte uns die letzte Minute per Hand an einer Leiter in der Spundwand festgehalten.
Ich richtete mich wieder auf. Im selben Moment ließ Torben die Kaffeetassen fallen und deutete hinter mich.
»Die Tore«, sagte er kaum hörbar. »Sie geben nach.«
Ich drehte mich um. Niemals werde ich diesen Anblick vergessen. Unendlich langsam wurden die mächtigen Tore von den dahinterliegenden Wassermassen aufgedrückt. […]
Es war der längste Augenblick meines Lebens. Statt eines Rückwärtsgangs hat die Rustica einen drehbaren Propeller, der die volle Schubkraft nicht sofort entwickelt. Es war, als versuchten wir, auf Treibsand vorwärtszukommen.
Wir hatten die geöffneten Schleusentore erreicht, als wir von achtern ein Donnern hörten, das Geräusch von splitterndem Holz und das Dröhnen der herabstürzenden Wassermassen.
»Niedergang zu!« schrie ich.
Jetzt war ich dankbar für alle Vorkehrungen, die ich getroffen hatte, um die Rustica seetüchtig zu machen. Ich wusste, sie blieb auch dann dicht, wenn der riesige Schwall über uns hinweg ging. Ein paar Liter würden durch den Lufteinlass des Motors laufen, das war alles.
Torben zog die Luke mit einem Knall zu, aber als er sich umdrehte, sah ich seinen Blick.
»Die Brücke!« schrie er.
Etwa fünfzig Meter vor uns versperrte die Drehbrücke den Weg. Sie war so niedrig, daß die Rustica sie nicht einmal mit umgelegten Mast hätte passieren können. Sicher hatte der Schleusenwärter den Knopf gedrückt, aber die Brücke würde sich niemals rechtzeitig öffnen. Trotzdem…
(Björn Larsson: Der keltische Ring, aus dem Schwedischen von Jörg Scherzer, Berlin: Goldmann 2000, S. 156-158)
Mit was für einem waghalsigen, aber perfekt ausgeführten – und zumindest theoretisch denkbaren – Manöver der Skipper diese gefährliche Situation meistert soll hier noch nicht verraten sein. Es sei aber angemerkt, dass schon erstaunlich ist, was dieser Skipper mit einem Segelboot machen kann… Und dabei ist er noch nicht mal der beste Segler in dieser Geschchte. Derjenige, den er verfolgt, kann noch viel mehr. Björn Larsson beweist denn auch an einigen Stellen dieses Buches, dass gegenüber den üblichen Verfolgungsjagden mit dem Auto Verfolgungsjagden mit dem Segelboot einen eigenen Reiz haben.
Was macht es da schon, wenn ich die enthaltene Liebesgeschichte für überzogen halte, dass mich eine angeblich noch auf die Druiden zurückgehende, jahrhundertealte, keltische Widerstandsbewegung als Hintergrund nicht überzeugte und die Motive für die Morde meines Erachtens nicht schlüssig sind.
Fazit:
Mir hat die Lektüre der Segelbeschreibungen gefallen – und da diese erst durch die Einbindung in eine Verfolgungsjagd ihre Berechtigung erhalten, weil ansonsten kaum ein nur halbwegs verantwortungsbewusster Skipper derartige Manöver fahren oder ein Auslaufen unter solchen Bedingungen wagen würde, ist die Hintergrundgeschichte als solche hinzunehmen.