Eliot Pattison: Das Auge von Tibet
Da mir „Der fremde Tibeter“ so gut gefiel, suchte ich bei meinem nächsten Besuch in der Stadtbibliothek gezielt nach dem folgenden Krimi aus der Reihe mit dem Ermittler Shan, den ich dann auch gleich verschlang.
Dieser Roman spielt zwar hauptsächlich in Xinjiang, aber natürlich kommt den Sichtweisen der tibetischen Mönche eine tragende Rolle zu. Und ebenso wie im vorherigen Buch geht es wieder um den Erhalt von Kunstschätzen und Traditionen – in diesem Fall insbesondere der Lebensart der kasachischen Nomaden dieser Region, die durch Programme der chinesischen Regierung zur „Förderung des Wohlstands der Minderheiten“ oder „Beseitigung der Armut“ ohnehin gefährdet wird, welche jedoch erst in der von Machtstreben gelenkten Auslegung durch gewissenlose Einzelne an Brisanz gewinnen. Diese sind aber nicht der Beweggrund für die Tötung einer Lehrerin und die nach und nach erfolgenden grausamen Morde an den zehnjährigen Waisen, die von ihr bei verschiedenen Nomadenfamilien untergebracht und betreut wurden. Während Shan sich einerseits bemüht die Aufenthaltsorte der Waisen herauszufinden, um sie zu warnen, wodurch er sie zu retten erhofft, versucht er andererseits zu ergründen, um was es bei diesem Fall eigentlich geht. Zu viele verschiedene Gruppen mit jeweils eigenen Interessen scheinen beteiligt oder zumindest damit verwoben zu sein: tibetische Nomaden, Angehörige der tibetischen Widerstandsbewegung, tibetische Mönche, amerikanische Archäologen, russische Emigranten, kasachische Nomaden, kasachische und uigurische Unabhängigkeitskämpfer, chinesische Beamte, chinesische Militärs…
Eliot Pattison gelingt es in diesem Buch wieder zugleich einen spannenden Krimi zu erzählen, der eine schlüssige Aufklärung hat, und Einblick in die tibetische Weltsicht zu geben, aber auch ein Gefühl für die Komplexität der Probleme im Süden Chinas zu vermitteln, denn auch in diesem Buch gibt es auf allen Seiten Personen, die guten Willens sind.