Lectrix – Notizen einer Leserin

27. Juli 2006

Terry Pratchett & Neil Gaiman: Ein gutes Omen

Filed under: Neil Gaiman,Terry Pratchett — Lectrix @ 21:56

Vor einigen Jahren (Anfang/Mitte 1998 war es vermutlich) lasen wir uns diesen Roman schon einmal gegenseitig vor und amüsierten uns dabei herrlich.
Nachdem wir nun ein so vergnügliches Buch von Terry Pratchett lasen (MacBest) und eine so packende Geschichte von Neil Gaiman (Niemalsland), was lag da näher, als sich dieses Gemeinschaftsprojektes zu entsinnen und es im nächsten Buchladen zu bestellen.
Mittlerweile haben wir es schon wieder durch und ich meine, wir amüsierten uns sogar noch mehr als beim ersten Mal.

Womit sollte man beginnen, wenn man einen Roman über den Weltuntergang schreiben möchte? Terry Pratchett und Neil Gaiman entschieden sich dafür, mit dem Gespräch zwischen einem Engel – der das Osttor des Paradieses bewacht und dessen Name Erziraphael lautet – und einem Dämonen – der in der Gestalt einer Schlange auftritt und Kriecher heißt – einzusetzen, kurz nachdem diese sich das erste Mal in die Belange der Menschen einmischten. Beide überlegen bereits, ob sie Fehler gemacht haben. Die Schlange zweifelt, ob es wirklich schlecht war Adam und Eva zum Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis zu verleiten. Und auch der Engel fragt sich besorgt, ob er den Menschen sein Flammenschwert wirklich hatte schenken sollen. Aber er hatte solches Mitleid mit Ihnen, als sie vertrieben wurden, denn er fürchtete, dass sie frieren würden und den wilden Tieren schutzlos ausgeliefert seien…

Dann werden knapp sechstausend Jahre übersprungen und die Geschichte setzt in der Nacht der Ankunft des Antichristen, des Sohnes Satans, im England unserer Tage wieder ein. „Es war keine dunkle und stürmische Nacht. Eigentlich sollte es eine dunkle und stürmische Nacht sein, aber auf das Wetter ist eben kein Verlaß.“ Crowley, wie sich Kriecher inzwischen nennt, bringt das Baby zwar dem ihm von unten erteilten Auftrag gemäß zu einem Kloster satanischer Nonnen, wo es gegen das Neugeborene der Frau eines amerikanischen Botschafters ausgetauscht werden soll. Er trifft sich aber bald darauf mit dem Engel Erziraphael, der ebenfalls immer noch auf Erden weilt, und verrät ihm den teuflischen Plan: Am elften Geburtstag des Antichristen wird der Höllenhund zu ihm kommen und kurz darauf wird er die Apokalypse heraufbeschwören.
Gemeinsam wollen der Engel und der Dämon versuchen, den Weltuntergang noch ein wenig hinaus zu zögern, denn eigentlich fühlen sich beide inzwischen auf der Erde ganz wohl…

Neil Gaiman und Terry Pratchett lassen folgend ein Feuerwerk skuriller Ideen auf den Leser los, die sich grob an den Offenbarungen des Johannes orientieren, den Film ‚Das Omen‘ parodieren und auf die Prophezeihungen des Nostradamus anspielen, aber alles in unsere Zeit übersetzt, wodurch von Ihnen mit Humor – aber dennoch durchaus kritisch – nebenbei auf etliche soziale und umweltpolitische Problematiken und gesellschaftliche Fehlentwicklungen hingewiesen wird.

Beispielhaft für die vorgenommenen Modernisierungen kann man vielleicht anführen, dass die vier Apokalyptischen Reiter nicht mehr auf Rössern herannahen, sondern als wahre Hell’s Angels auf Motorrädern unterwegs sind. Es handelt sich im Übrigen nicht mehr um Krieg, Hunger, Pestilenz und TOD, sondern nun um Krieg, Hunger, Umweltverschmutzung und TOD. Pestilenz hatte sich nämlich 1936, nach Erfindung des Penizilins, in den Ruhestand zurückgezogen. Umweltverschmutzung war die Nachfolge angetreten, da er die Zukunft für vielversprechend hielt. Andere passten ihr Vorgehen den veränderten Zeiten an:

Sable hatte schwarzes Haar einen sorgfältig gepflegten schwarzen Bart und gerade beschlossen, eine Aktiengesellschaft zu gründen.
Er stieß mit seiner Buchhalterin an.
»Wie läuft’s, Frannie?« fragte er sie.
»Bestens. Bisher haben wir zwölf Millionen Exemplare verkauft. Ist das zu fassen?«
[…]
Ein Skelett unterbrach sie. Aber es war kein gewöhnliches Skelett. Dieses Skelett trug ein Dior-Kleid, und sonnengebräunte Haut spannte sich fast bis zum Zerreißen straff über die Knochen des Schädels. Es hatte langes blondes Haar und perfekt geschminkte Lippen. Ja, Sie haben richtig getippt: eine Frau. Sie sah aus wie eine jener Personen, auf die Mütter zeigen, um ihre Sprößlinge zu warnen: ›Das passiert mit dir, wenn du dein Gemüse nicht ißt.‹ Kennen Sie die Plakate, die auf Hungersnöte in Afirka hinweisen und um Spenden bitten? Diese Frau hätte dafür sorgen können, daß sich die Kassen der verschiedenen Hilfsorganisationen innerhalb weniger Tage füllen.
Sie war das berühmteste Fotomodell New Yorks – und sie hielt ein Buch in der Hand. »Äh, bitte entschuldigen Sie, Mister Sable. Ich möchte Sie nicht stören, sondern mich nur bei Ihnen bedanken, weil Sie mein Leben geändert haben. Wären Sie vielleicht so nett, Ihr Werk für mich zu signieren?« Ihre tief in den Höhlen liegenden, üppig mit Lidschatten bemalten Augen starrten Sable flehentlich an.
Er nickte großzügig und nahm das Buch entgegen.
Es überraschte ihn nicht, daß ihn die Frau erkannt hatte: die silberne Rückseite des Covers zeigte sein Foto. D-Plan Diät: Wie man schlank und attraktiv wird lautete der Titel. Und: Das Diät-Buch des Jahrhunderts!
(Terry Pratchett & Neil Gaiman: Ein gutes Omen, 2. Auflage, München: Pieper 2006, S. 74-76)


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