Lectrix – Notizen einer Leserin

19. August 2012

Michael Böckler – Mord mit drei Sternen

Filed under: Michael Böckler — Lectrix @ 13:47

Im letzten seiner bisher erschienen Krimis, in denen Hippolyt Hermanus als Ermittler agiert, wählt Michael Böckler Deutschland als Ort des Geschehens.

Der Grund dafür, dass Hippolyt das von ihm so geliebte ‚dolce far niente‘ für eine Weile aufgibt und sich auf eine Reise in seine alte Heimat einlässt, ist eine dringende Bitte des mit ihm befreundeten Bologner Herausgebers von Gourmetzeitschriften und Restaurantführern, ihn bei einer ersten Recherchereise zu begleiten, die Hipp nicht abzulehnen vermag.

Bei der Besprechung in Matteos Bologneser Verlag wurde Hipp den Mitarbeitern als »Consigliere« vorgestellt, als Berater, der in das Projekt seine Kontakte in Deutschland einbringen könne sowie seine außerordentlichen Weinkenntnisse. Hipp musste spontan an Mario Puzos Paten denken und an Tom Hagen, den Consigliere der Familie Corleone. Erfreulicherweise stellte man an ihn andere Erwartungen.
[…]
Als Matteo den Projektnamen nannte, unter dem der Gourmetführer verlagsintern lief, musste Hipp schmunzeln. »Scarafaggio« war ziemlich originell, hieß das doch nichts anderes als »Küchenschabe«. Ob er damit seine Wertschätzung der deutschen Küche zum Ausdruck bringen wollte?
Interessanter wurde es, als Matteo die Kriterien für die Auswahl der Restaurants und der Weine erläuterte. Man wolle ausländischen Besuchern ebenso die Spitzengastronomie näherbringen, die jeder Feinschmecker einfach kennen sollte, wie auch sogenannte »Geheimtipps« mit landestypischer Küche bis hin zum gepflegten Imbiss an der Ecke, an dem sich Businesspeople zum Lunch treffen. Natürlich werde es Bewertungen geben, auch irgendwelche Symbole. Sterne und Kochmützen kämen aus naheliegenden Gründen nicht in Frage. Ideen seien willkommen. Nein, Küchenschaben seien nicht ideal. Obwohl, »das Lokal hat vier Küchenschaben«, das klinge nicht schlecht.
Natürlich müssten in einem Sonderteil die regionalen Spezialitäten der deutschen Küche erläutert werden. Er persönlich komme dafür als Autor nicht in Frage, die »deutsche Hausmannskost« sei ihm ein Greuel. Schon beim Gedanken an »Hamburger Labskaus mit Spiegelei« kriege er Magengrimmen. Und wie man »Rollmops« ins Italienische übersetze, möge er erst gar nicht wissen.
»Aringa arrotolata«, murmelte Hipp.
Matteo sah ihn vorwurfsvoll an. Dann kam er auf den integrierten Weinführer zu sprechen. Die wichtigsten Anbaugebiete, Rebsorten, empfehlenswerte Winzer. Mit Hipps Hilfe würden sie das schon hinbringen. Auch wenn er seine Zweifel habe, ob man deutschen Wein überhaupt empfehlen könne. Ihm sei ein Liebfrauenmilch mit Eiswürfel in unauslöschlicher Erinnerung. Und die Klassifizierung der deutschen Weine verstünden nicht mal die Einheimischen, wie solle man diese dann Ausländern näherbringen. Matteo schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf. »Una gran confusione!«
[Michael Böckler: Mord mit drei Sternen. Ein neuer kulinarischer Fall für Hippolyt Hermanus, München: Knaur 2012, S. 37-38]

Michael Böckler schafft es, nicht nur die Klassifizierung ganz nebenbei recht gut nachvollziehbar zu erläutern, sondern in einem Anhang – wie man diesen schon von den früheren Büchern kennt – auch die üblichsten Trauben und Anbaugebiete knapp vorzustellen.

Darüber hinaus spielt – worauf der Titel ja deutlich anspielt – in diesem Roman die Spitzengastronomie bzw. die Bewertung von Köchen und Restaurants eine große Rolle.

Selbstverständlich kann es bei diesem Thema nicht bei den zu Beginn zum Ausdruck gebrachten pauschalen Vorurteilen über die deutsche Küche bleiben. Schon auf dem Weg nach Deutschland kommt es darum zu einer ersten Relativierung:

Den Brenner hatten sie bereits hinter sich. Auf der österreichischen Inntalautobahn musste Matteo die »cavalli« seines Maserati noch schweren Herzens zügeln. Er sehnte die deutschen Autobahnen herbei.
Weil ihm langweilig war, diskutierte er mit Hipp einmal mehr die Qualität der deutschen Spitzengastronomie. Hipp erinnerte ihn daran, dass der vielleicht beste Koch Italiens ein Deutscher sei, nämlich Heinz Beck vom La Pergola in Rom. Matteo, der dort natürlich schon häufig gespeist hatte, räumte freimütig dessen hohe Meisterschaft ein. Jetzt hätten sie schon zwei herausragende Deutsche in Rom, Papst Benedetto und den Küchenchef Heinz Beck. Nun sei es aber genug!
Matteo sah Hipp lächelnd an. Er gab zu, dass seine spöttischen Bemerkungen über die deutsche Kochkunst nicht immer ganz ernst gemeint seien. Natürlich wisse er, dass es in Deutschland exquisite Köche gebe. Auch wenn er bisher noch wenig Veranlassung gehabt habe, sich persönlich davon zu überzeugen. Schon bald würden sie in Baiersbronn die Probe aufs Exempel machen. Mittagessen im Bareiss und zu Abend in der Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach. Die Tische seien bereits reserviert.
Hipp grinste. Claus-Peter Lumpp und Harald Wohlfahrt? Exklusiver könne man wohl kaum beginnen, stellte er fest.
[Michael Böckler: Mord mit drei Sternen. Ein neuer kulinarischer Fall für Hippolyt Hermanus, München: Knaur 2012, S. 48-49]

Allerdings kommt es auch zu nicht viel mehr Besuchen von Restaurants der Spitzengastronomie, da bereits kurz nach dem Besuch dieser beiden Lokale, die ersten Morde passieren und Matteo Pergustino als Tatverdächtiger verhaftet wird, sodass Hippolyt Hermanus sich gezwungen sieht, bei der Aufklärung mitzuwirken.

Ein spannender Krimi beginnt…


Michael Böckler – Tödlicher Tartufo

Filed under: Michael Böckler — Lectrix @ 10:47

Auch wenn auf dem Cover „Der 2. Fall für Hippolyt Hermanus“ steht, handelt es sich bereits um das 3. Buch von Michael Böckler, in dem Hipp die Hauptrolle hat, da die Krimis „Sterben wie Gott in Frankreich“ sowie „Vino Criminale“ sowohl vorher erschienen als auch die beschriebenen Ereignisse nur in dieser chronologischen Reihenfolge Sinn ergeben.

So begegnet man in „Tödlicher Tartufo“ einigen Personen wieder, die man schon in der vorausgehenden Geschichte kennen und lieben lernte:

Hippolyt hatte sich mit Maresciallo Viberti in dessen Lieblings-Osteria zum Essen verabredet. Er kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass dies die einzige Möglichkeit war, ihm Informationen zu entlocken. Wie üblich übernahm es Viberti, das Menü zusammenzustellen, eine Aufgabe, für die er in höchstem Maße qualifiziert war. Hipp stellte amüsiert fest, dass der Maresciallo ein einfaches Konzept verfolgte – indem er nämlich durchgängig jedes Gericht mit Trüffel bestellte, angefangen von Uovo in cocotte con tartufo bianco*, was immer das auch sein mochte, über Tarjarin con tartufo* bis zu Tagliata con tartufo bianco*.
Viberti zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Signor Hermanus, es ist nun mal Trüffelzeit. Nur Ignoranten bestellen im Oktober etwas anderes. Außerdem haben Sie extra den weiten Weg aus der kulinarischen Wüste ins gesegnete Piemont*auf sich genommen.«
»Kulinarische Wüste?«
»Die Toskana, mein lieber Dottore. Ich verstehe sowieso nicht, warum Sie sich gerade dort niedergelassen haben. Nun gut, es gibt ein paar schöne Gebäude, da will ich nichts sagen, die Renaissance ist eine feine Sache. Aber seien Sie doch mal ehrlich, rein kulinarisch hat die Toskana nicht viel zu bieten. Schmecken Ihnen vielleicht Fagioli? Bei den Florentinern muss genetisch irgendetwas passiert sein, dass sie so in weiße Bohnen vernarrt sind. Die Bistecca alla fiorentina ist etwas für englische Touristen. Die Cantuccini aus Prato sind so hart, dass man sie erst in Vin Santo tunken muss, um sie überhaupt essen zu können. Und wie kann man Pecorino über die Pasta reiben, wo es doch wunderbaren Parmigiano gibt? Von der Livorneser Fischsuppe will ich gar nicht reden, eine äußerst unappetitliche Angelegenheit.«
Hipp musste lachen, die Gespräche mit Viberti schienen immer dem gleichen Muster zu folgen. »Sie übertreiben, verehrter Maresciallo. Man kann in der Toskana vorzüglich essen. Zum Beispiel…«
»Zum Beispiel gibt es in der ganzen Toskana kein gutes Risotto«, unterbrach in Viberti, »das ist eine allseitsbekannte Tatsache. Polenta mit Haselnüssen? Fehlanzeige! Einen Brasato al Barolo*? Unbekannt! Agnolotti? Noch nie gehört! Agnolotti con tartufo bianco? Das scheitert schon an der Trüffel!«
»Sie wissen, dass man in der Toskana sehr wohl Trüffeln findet«, merkte Hipp vorsichtig an.
»Ja, das weiß ich. Aber nach meiner subjektiven Einschätzung können sie sich in keinster Weise mit der originären Alba-Trüffel messen. Deshalb ist es besonders dreist, wenn gelegentlich Trüffeln aus der Toskana* oder den Marken* unter unsere königlichen Tartufi d’Alba geschmuggelt werden. In meinen Augen handelt es sich bei diesem Delikt um ein Kapitalverbrechen.«
Hipp reichte Viberti die Weinkarte, in der Hoffnung, seinen Redefluss auf diese Weise zumindest vorübergehend zu unterbrechen. »Darf ich Sie bitten, uns einen Wein auszuwählen.«
Der Mareciallo wehrte die umfangreiche, in Leder gebundene Mappe elegant ab. »Nein, vielen Dank. Erstens kenne ich die Weinkarte auswendig. Zweitens sind Sie der Gastgeber. Und drittens, mein lieber Dottore, mögen Sie zwar beim Essen noch gewisse Bildungsdefizite haben, aber beim Wein verfügen Sie über phänomenale Kenntnisse und einen unübertroffenen Geschmackssinn. Davon habe ich mich mehr als einmal überzeugt. Ich lege mein Schicksal vertrauensvoll in Ihre Hände.«
Hipp schmunzelte. »Soll ich zum Auftakt einen Wein aus der Toskana bestellen?«
Viberti ließ ein leises Stöhnen vernehmen. »Wenn es unvermeidbar ist. Aber bitte keinen Chianti, auf diesen Wein reagiere ich gewöhnlich mit einem allergischen Schock.«
»Also vielleicht doch lieber einen feinen Spumante zum Auftakt. Und danach einen Barbaresco*, wie wäre es mit einem Costa Russi von Angelo Gaja?«
Der Maresciallo küsste seine zu einer Rose geformten Fingerspitzen. »Ottimo, complimenti. Ich wusste ja, ich kann mich auf Ihren noblen Geschmack verlassen.«
[Michael Böckler: Tödlicher Tartufo. Der 2. Fall für Hippolyt Hermanus, München: Knaur 2008, S. 51-54]

Wie man schon aus dem vorhergehenden Buch gewohnt ist, sind zu den mit * gekennzeichneten Begriffen Erläuterungen im Anhang zu finden. So steht dort unter dem Stichwort „Uovo in cocotte con tartufo bianco“ z.B.:

Bei dieser Variante der Fonduta al tartufo kommt ein verlorene (und gut verstecktes) Ei ins Spiel. Zunächst wie beim Rezept für Fonduta (s. dort) eine cremige Käsesauce herstellen. Danach Wasser mit einem Schuss Essig zum Kochen bringen, mit Hilfe einer Suppenkelle ein rohes Ei hineingleiten und so lange stocken lassen, bis das Eiweiß fest ist. Das Ei vorsichtig herausfischen, in eine kleine hitzefeste Form geben, mit der heißen Käsesauce begießen und eine weiße Trüffel darüberhobeln. Im Roman wird Hipp von Viberti im korrekten Verzehr dieser Spezialität unterwiesen. Mit einem kleinen Löffel werden Trüffel, geschmolzener Fontina-Käse und das verlorene (wachsweiche) Ei miteinander verrührt.
[Michael Böckler: Tödlicher Tartufo. Der 2. Fall für Hippolyt Hermanus, München: Knaur 2008, S. 429]

Neben Informationen zu Wein werden also auch in diesem Buch wieder Rezepte und Hintergrundwissen zu regionaltypischen Gerichten und Zutaten geboten. Allerdings werden wir davon wohl kaum welche nachkochen, geht es dieses Mal – wie schon durch den Titel zum Ausdruck kommt – doch vor allem um Trüffel und lernt man schon bald, dass man bei deren Erwerb besser nicht sparen sollte. Trotzdem fand ich interessant, mehr über diesen Pilz zu erfahren.

Darüber hinaus bietet Michael Böckler aber auch noch einen gelungenen Krimi. Dieses Mal gilt es die Morde an einem Trüffelsucher, einem passionierten Weinsammler und einem der Besitzer eines Feinkostversandhandels aufzuklären, bei denen der Erste bei der Trüffelsuche erschossen, der Zweite von einem einstürzenden Weinregal erschlagen und der Letzte in einer Tiefkühltruhe mit Scampi gefunden wurde – es bleibt also in gewisser Weise kulinarisch.

Mir hat die Lektüre gefallen.
Ich kann darum auch diesen Krimi uneingeschränkt weiter empfehlen.


18. August 2012

Michael Böckler – Vino Criminale

Filed under: Michael Böckler — Lectrix @ 16:33

Kurz vor dem Sommerurlaub entdeckte ich, dass es inzwischen drei weitere Krimis von Michael Böckler gibt, in denen Hippolyt Hermanus als Ermittler agiert. Da mich „Sterben wie Gott in Frankreich“, den ich hier bereits vorstellte, ausgesprochen gut gefiel, kaufte ich sie direkt.

Im Laufe des Urlaubs las ich dann erst nochmals „Sterben wie Gott in Frankreich“, dessen Lektüre ich auch beim zweiten Mal genoss, und verschlang dann die drei weiteren Krimis, die meinen hohen Erwartungen vollends gerecht wurden.

„Vino Criminale“ ist das zweite Buch dieser Reihe, wurde von mir deshalb als zweites Buch gelesen und soll darum nun auch als zweites Buch von Michael Böckler vorgestellt werden.

Mit der Vorstellung dieses Krimis habe ich allerdings ein Problem,
denn m.E. kann man keine bessere Werbung für dieses Buch machen, als es der Autor in dem mit „Prefazione“ überschriebenen Kapitel selber macht. Ich werde mich deshalb darauf beschränken, aus diesem zu zitieren:

Hippolyt Hermanus hat ein Faible für gute Weine. Während sich diese Vorliebe im Roman Sterben wie Gott in Frankreich auf Tropfen französischer Provenienz beschränkte, erweist sich Hipp – wie ihn seine Freunde nennen – auf den folgenden Seiten als nicht minder begeisterungsfähig für italienische Weine. Was seinen guten Grund hat, denn nach dem französischen Abenteuer hat es ihn in die Toskana verschlagen, wo er im Selbstversuch die Folgewirkungen des dolce far niente, des süßen Nichtstuns, ergründen möchte. Wozu ihm ein alter Liegestuhl unter einem noch älteren Olivenbaum und ein nicht allzu junger Brunello völlig genügen würden.
Aber das Schicksal zeigt kein Verständnis für dieses kultivierte Phlegma und verstrickt Hippolyt Hermanus erneut in ein mörderisches Spiel. Den Anfang macht ein überaus unglücklicher Zwischenfall in einer anderen, nicht weniger bedeutenden Weinregion Italiens – im Piemont. Womit bereits der Bogen vom Sangiovese zum Nebbiolo geschlagen wäre. Dass dies nicht die einzigen Rebsorten im Roman bleiben werden, versteht sich bei Hipps Profession von selbst – und ist zudem erklärte Absicht. Denn mit diesem Buch soll nicht nur eine hoffentlich spannende Geschichte erzählt, sondern auch gleichzeitig Basiswissen über italienische Weine vermittelt werden. In Verbindung mit dem umfangreichen Anhang, in dem alle Weinbauregionen Italiens vorgestellt werden, die wichtigsten Rebsorten und bekannte Winzer, könnte die Lektüre zu begleitenden Weinproben Anlass geben. Auch wären kulinarische Exkursionen zu den Originalschauplätzen möglich, jedenfalls sind im Anhang alle vorkommenden Restaurants (und Hotels) sorgsam protokolliert. Da Hipp und seine Schutzbefohlene Sabrina – wie zudem ein gewisser Maresciallo Viberti von den Carabinieri – neben dem Wein auch dezidiert dem guten Essen zugetan sind, wird etwaigen Nachkochgelüsten mit authentischen Rezepten im Anhang entsprochen. Als kleine Hilfestellung sind alle Stichwörter im Roman, die sich im Anhang wiederfinden (zumindest bei ihrer ersten Erwähnung), mit einem * gekennzeichnet.
Genug der Vorrede. Noch glaubt Hipp, dass er sich in der Toskana einige ruhige Wochen machen könnte. Maresciallo Viberti träumt von einem feinen Risotto mit Trüffeln. Sabrina lauscht der rauchigen Stimme von Paolo Conte. Und Eva-Maria? Sie wird nicht mehr lange leben!
[Michael Böckler: Vino Criminale. Ein kulinarischer Fall für Hippolyt Hermanus, München: Knaur 2006, S. 7f.]


26. Juli 2008

Michael Böckler: Sterben wie Gott in Frankreich

Filed under: Michael Böckler — Lectrix @ 7:55

Dieser Roman wurde mir von einer Freundin geliehen, die sich sicher war, dass er mir gefallen würde.
Sie hatte Recht. Ich habe ihn in meinem Urlaub mit größtem Genuss gelesen.

Neben reizvollen Beschreibungen Südfrankreichs und einer schönen Liebesgeschichte bietet dieser Roman einen durchdachten Kriminalfall, der vielleicht nicht sonderlich reißerisch und in diesem Sinne fesselnd sein mag, aber aufgrund der ungewöhnlichen Thematik und der damit verbundenen andersartigen Leidenschaften durchweg interessant bleibt und schließlich zu einer stimmigen Lösung führt.

Als wohltuend empfand ich insbesondere den niveauvollen Schreibstil, auf den man – meines Erachtens – bei modernen Krimis allzu oft verzichten muss, weil entweder zu viele meinen, dass es bei diesem Genre nicht darauf ankommt, oder sogar die Auffassung vertreten, dass Geschichten mit einem Privatermittler ’schnoddrig‘ klingen müssten.

Aber der Privatermittler dieses Romans, Hippolyt Hermanus, hat nicht nur einen ungewöhnlichen Namen, sondern ist auch durchaus außergewöhnlich. Eine gehobenere Ausdrucksweise passt sowohl zu ihm als auch zu seinem Sujet. Sein erster Auftritt im Rahmen einer exklusiven Weinverkostung ist sehr gelungen, aber zu lang zum Zitieren und soll deshalb dem Lesen im Gesamtzusammenhang vorbehalten bleiben. Als Leseprobe wurde deshalb seine nachfolgende Vorstellung heran gezogen:

Praunsberg stellte die Flasche wieder ab und wendete sich an seinen Freund Karl, der Hipp mitgebracht hatte. »Ich denke, du bist uns eine Erklärung schuldig!«
Karl Talhammer hob grinsend und in gespielter Verzweiflung die Hände in die Höhe. »Weil du mich nie ausreden lässt. Du bist selbst schuld. Ich wollte dir doch zu Beginn unbedingt erzählen, dass Hipp Hermanus ein Spezialgebiet hat. Aber du wolltest nichts davon wissen…«
»Du hast gesagt. er ist Psychologe, war bei der Polizei und arbeitet jetzt als privater Ermittler.«
»Siehst du, du unterbrichst mich schon wieder«, entgegnete Talhammer. »Er arbeitet als privater Ermittler, das ist richtig, aber fast ausschließlich auf seinem Spezialgebiet, und das sind nun mal die Weine.«
»Was gibt es da zu ermitteln? Etwa die Rebsorte und den Jahrgang?«, fragte Schmid.
»Nein, rund um den Wein, vor allem bei den teuren Flaschen und den so genannten Raritäten gibt es viele Betrügereien«, erklärte Karl Talhammer. »Erst heute haben wir mit Hilfe von Hipp Hermanus einen geschickt angelegten Versicherungsbetrug eines Privatsammlers aufgedeckt, der uns über eine Million Euro gekostet hätte. Vorige Woche sind bei einer Auktion in London einige Flaschen Château d’Yquem aus dem 19. Jahrhundert unter den Hammer gekommen. Hipp ist sich sicher, dass sie aus einem schon länger zurückliegenden Einbruch in England stammen und dass die Dokumente über die Herkunft manipuliert sind. Und dann gibt es noch all diese Fälschungen, sündteure Flaschen, in denen alles Mögliche ist, aber nur nicht der Wein, der auf den Etiketten steht.«
»So etwas gibt es?« Schmid schaute entsetzt.
»Ja, leider«, erklärte Praunsberg, »diese Raritäten werden gehandelt, versteigert, unter der Hand verkauft…«
»… und versichert«, fuhr Talhammer fort. »Wenn da jemand ermitteln soll, dann muss er sich bei Weinen extrem gut auskennen. Hipp ist aus sehr privaten Gründen aus dem Polizeidienst ausgeschieden, hat sich scon immer intensiv mit Wein beschäftigt und besitzt sogar einen Abschluss an der berühmtesten Sommelier-Schule in Bordeaux. Mit dieser Kombination, erstens Psychologe, zweitens ehemaliger Sonderermittler bei der Polizei und drittens Weinexperte, ist er für uns unersetzbar. Auch wenn er als Mensch nicht immer ganz einfach ist und so seine Eigenarten hat…«
(Michael Böckler: Sterben wie Gott in Frankreich. Ein Wein-Roman, München: Knaur 2004, S. 37-39)

Damit dürfte nun auch hinreichend geklärt sein, dass – auch wenn Morde geschehen und aufgeklärt werden sollen – Wein das eigentliche Thema liefert. Sei es als Tatwaffe, Motiv, Leidenschaft oder allgegenwärtige Begleitung.

Sehr erfreulich fand ich bei der Lektüre insbesondere, das von Michael Böckler angewendete Mittel, über die vielen Informationen zu Weinen und Besonderheiten der französischen Regionen, die schon angenehm in die Geschichte verpackt sind, häufig am Seitenrand auch noch ergänzende Erklärungen unterzubringen, die dem weinunkundigen Laien das Verständnis erleichtern oder auch einfach interessante Zusatzinformationen liefern, die in den Text zu integrieren unpassend und den Lesefluss hemmend gewesen wären, aber mir dennoch äußerst willkommen waren.

Das recht umfangreiche Supplement am Ende des Buches, in dem die an den Seitenrändern aufgeführten und noch weitere Informationen enthalten sind, ist zum Nachlesen geeignet.

Ich habe bei der Lektüre auf jeden Fall recht viel über Wein gelernt
– bin aber vor allem angeregt worden, bewusster Wein zu trinken.

Der Roman führt also noch über das Lesen hinaus zu Genuss.


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