Elizabeth Kostova: Der Historiker
Irgendwie zwar eine Vampir-Geschichte, irgendwie ein Dracula-Roman
– aber sicherlich anspruchsvoller und subtiler als die üblichen Reißer dieses Genres.
Das Vorwort ist 2008 datiert, ein (nicht allzu stark versteckter) Hinweis, dass dieser ‚Hinweis an den Leser‘ bereits Teil des Buches ist, da dieses 2005 erschien. Ansonsten klingt es ganz nach einer einleitenden Vorrede der Autorin einer Autobiographie. Sie beginnt mit den Worten:
Die folgende Geschichte wollte ich eigentlich nie zu Papier bringen. Kürzlich jedoch hat mich eine Art Schock dazu gebracht, mir noch einmal zu vergegenwärtigen, was für mich und einige der mir liebsten Menschen zweifellos die beunruhigsten [sic!] Ereignisse meines Lebens waren. Es ist die Geschichte, wie ich mich als sechzehnjähriges Mädchen auf die Suche nach meinem Vater und seiner Vergangenheit machte, wie er seinerseits nach seinem geliebten Mentor und dessen Vergangenheit suchte und wie wir uns alle auf einem der dunkelsten Pfade in längst vergangenen Zeiten wiederfanden. Dieses Buch berichtet darüber, wer diese Suche überlebte und wer nicht – und warum.
(Elizabeth Kostova: Der Historiker, Berlin: Berlin Verlag 2005, S. 7)
Damit hat die Autorin vorab selbst eine zutreffende Beschreibung dessen geliefert, worum sich die Handlung dieses Buches dreht.
Unerwähnt bleibt dabei jedoch, wie gelungen die Ebenen gewechselt und die behandelten Zeiten miteinander verwoben werden, ohne dass man als Leser auch nur einmal in Orientierungsschwierigkeiten gerät, wo oder wann man sich gerade befindet.
Unerwähnt bleibt dabei auch, dass die Erzählung in weiten Teilen in Form von Briefen, Tagebucheinträgen und Archivmaterial erfolgt, was – wie auch schon das Vorwort – an Bram Stoker erinnert und sicherlich erinnern soll.
Unerwähnt bleibt dabei aber vor allem, wie viel man nebenbei über die politischen Gegebenheiten und Lebensumstände in Ungarn, Bulgarien und Rumänien um 1930 und in den frühen 50er Jahren erfährt. Wie viel man dabei über das Verhältnis bzw. die Ressentiments zwischen Angehörigen der slawischen und der türkischen Volksgruppe auch noch im 20. Jahrhundert, ihre kulturelle Verwobenheit sowie die historischen Hintergründe vermittelt bekommt. Wie viel man über das Osmanische Reich, das Leben des Vlad Tepes III., einem spätmittelalterlichen Fürsten der Walachei, sowie die sich um ihn rankenden Legenden und vieles mehr lernt.
Das Ganze wurde von Elizabeth Kostova dabei so interessant gestaltet und aufgebaut, dass wir jede freie Minute nutzten, um uns abwechselnd weiter vorzulesen. Denn man will wissen, was die Ich-Erzählerin von ihrem Vater über seine zwanzig Jahre zurückliegende Suche nach seinem Doktorvater erfährt. Man will wissen, was dieser wiederum zwanzig Jahre zuvor auf seinen Reisen nach Griechenland, Istanbul und Rumänien herausfand und was das mit seinem späteren Verschwinden zu tun hat. Man will wissen, ob und in welchem Zustand die Eltern der Ich-Erzählerin ihn auf ihrer Suche durch Südosteuropa fanden. Und man will vor allem wissen, inwiefern das alles mit dem Verschwinden des Vaters in den 70er Jahren, der Zeit in der die eigentliche Handlung angesiedelt ist, zusammenhängt und ob und in welchem Zustand die Ich-Erzählerin ihn und vielleicht sogar ihre schon früher verschwundene Mutter wiederfand.
Fazit:
819 Seiten – und doch noch zu kurz!