Lectrix – Notizen einer Leserin

20. Februar 2008

Diane Broeckhoven: Ein Tag mit Herrn Jules

Filed under: Diane Broeckhoven — Lectrix @ 22:15

Auf der heutigen Bahnfahrt von Stuttgart nach Hause las ich diese wunderbare Geschichte.

Diane Broekhoven hat wundervoll einfühlsam eingefangen, wie eine alte Frau morgens ihren soeben verstorbenen Mann entdeckt, seinen Tod aber niemanden mitteilt, sondern sich stattdessen noch einen letzten gemeinsamen Tag mit ihm gönnt. Sehr schön auch die Herausforderung, die aus dem Besuch des autistischen Nachbarskinds erwächst, das an diesem Tag ebenso wie jeden Ferientag um 10 Uhr zum Schachspiel mit ihrem Mann herüberkommt und selbstverständlich nicht einfach abgewiesen werden kann…

Er hatte alles verstanden. Ein lebloser Mann auf einem Sofa und eine alte Frau, die dieser vollendeten Tatsache ins Auge sah, paßten in sein Auffassungsvermögen. Das strahlte Sicherheit aus. Jules würde definitiv auf seinem Platz bleiben, die Hände mit den Knien verschmolzen, die halbgeschlossenen Augen auf nichts gerichtet, das Erstaunen wie ein Strich zwischen Nase und Kinn gekerbt. Sie selbst würde nicht weiter als ein paar Meter aus Davids Blickfeld verschwinden, solange er hier war. Nichts Unerwartetes würde in diesem Zimmer geschehen, in dem alles seinen Platz hatte, wie bei einem Schachspiel. Das beruhigte David. Und sie ebenfalls.
Es war für Alice ein Moment der Einsicht, der wortlosen Freude.
(Diane Broeckhoven, übersetzt von Isabel Hessel, 4. Auflage, München: Ch. Beck 2005, S. 74)

Ich kann dieses Buch nur weiterempfehlen, denn es streichelt die Seele.


Powered by WordPress