Lectrix – Notizen einer Leserin

26. September 2007

Jonathan Carroll: Fieberglas

Filed under: Jonathan Carroll — Lectrix @ 7:05

Im Original heißt dieser Roman „The marriage of sticks“ und nimmt damit die folgende sympathische, romantische Idee, die meines Erachtens treffend das gedankliche Gerüst der Geschichte bildet, bereits in den Titel auf:
(Demgegenüber empfinde ich ‚Fieberglas‘ eher als willkürliches Zitat aus dem Text.)

Gewisse Dinge müssen hier sein. Am wichtigsten der Stapel Hölzer im Kamin. Jedes dieser Holzstücke ist wichtig. Auf jedem steht ein Datum und ein Grund. Ich habe sie nie gezählt, aber ich würde schätzen, daß es jetzt zwanzig sind. Hughs Sammlung war viel größer, aber er hat damit auch Jahre vor mir angefangen.
Es war seine Idee: Wenn etwas wirklich Wichtiges in deinem Leben passiert, suche, wo immer du zufällig gerade bist, ein Stück Holz und schreibe den Anlaß und das Datum darauf. Halte die Hölzer zusammen und beschütze sie. Es dürfen nicht zu viele sein; schau sie dir alle paar Jahre an und trenne die Ereignisse, die immer noch wichtig sind, von denen, die es waren, aber nicht mehr sind. Du kennst den Unterschied. Den Rest wirfst du weg.
Wenn du sehr alt bist, sehr krank, oder sicher, daß du nicht mehr lange zu leben hast, leg sie zusammen und verbrenne sie. Die Ehe der Holzstücke.
(Jonathan Carroll: Fieberglas, übersetzt von Rainer Schmidt, Frankfurt a.M.: Eichborn 2002, S. 110f.)

Jonathan Carroll beginnt auch in diesem Fall – wie bei dem ersten Buch, das ich von ihm las („Schlaf in den Flammen„) – mit einer hervorragend eingefangenen Liebesgeschichte mit interessanten, vielschichtigen Charakteren und einer wunderbaren Melancholie, die das Ganze untermalt.

So zumindest bis zur 166. Seite (inhaltlich: beim Einzug in das erste gemeinsame Heim), denn da erhält das Übersinnliche Einzug. Auch dies eine Parallele zu „Schlaf in den Flammen“, wo ebenfalls der 1. Teil recht normal verlief. Ab dem Bruch steigert sich dann in beiden Romanen der Anteil des Übersinnlichen immer mehr. Im 2. Teil von „Fieberglas“ zudem ganz eindeutig mit Elementen des Horrorgenres – oder vielleicht passender Schauerromans – durchzogen.

Manches war mir eigentlich zu unheimlich, zu erschreckend, zu grausam, zu traurig, zu abgedreht, zu heftig. Aber es lohnt sich dennoch dieses Buch bis zum Ende zu lesen, denn es gibt eine – metaphysische ? – Erklärung. Und das, was man vielleicht altmodisch als ‚Moral von der Geschicht‘ bezeichnen könnte, ist bestechend.

Fazit:
Wieder einmal hat Jonathan Carroll es geschafft, mich in seinen Bann zu ziehen.


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