Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt
In den letzten beiden Tagen habe ich dieses Buch gelesen. Es wurde mir von einem Arbeitskollegen geliehen, der überzeugt davon war, dass es mir gefallen würde. Er hatte Recht. Ich habe die Lektüre genossen.
Daniel Kehlmann gelingt es, dem Leser in einem Buch Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß auf angenehm lesbare Weise näher zu bringen, indem er eine Anekdote an die andere reiht, einige Begebenheiten dazu erfindet sowie einzelne Situationen überzeichnet und so gleichermaßen das Genie als auch die Eigenarten der beiden Hauptpersonen vermittelt.
Dass man viele der Anekdoten schon kennt, tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Eher im Gegenteil, denn Daniel Kehlmann erzählt sie sehr nett ausgeschmückt nach.
Zum Appetit machen je ein Beispiel:
Auf dem Weg nach Spanien vermaß Humboldt jeden Hügel. Er erklomm jeden Berg. Er klopfte Steinproben von jeder Felswand. Mit seiner Sauerstoffmaske erkundete er jede Höhle bis in die hinterste Kammer. […]
Er [Bonpland] begann sich zu wundern. Ob das denn nötig sei, fragte er, man sei schließlich auf der Durchreise, man wolle doch nur nach Madrid und wäre viel schneller dort, wenn man einfach nur hinritte, Herrgott noch mal.
Humboldt überlegte. Nein, sagte er dann, er bedauere. Ein Hügel, von dem man nicht wisse, wie hoch er sei, beleidige die Vernunft und mache ihn unruhig. Ohne stetig die eigene Position zu bestimmen, könne ein Mensch sich nicht fortbewegen. Ein Rätsel, wie klein auch immer, lasse man nicht am Wegesrand.
(Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt, 17. Aufl., Rowohlt: Reinbek bei Hamburg 2006, S. 41 f.)
und
Er habe sich jetzt entschieden, sagte Gauß.
Wofür? Bartels sah zerstreut auf.
Gauß seufzte ungeduldig. Für die Mathematik. Bisher habe er sich ja auf die klassische Philologie verlegen wollen, und noch immer gefalle ihm der Gedanke, einen Vergil-Kommentar zu schreiben, besonders über Aeneas‘ Abstieg in die Unterwelt. Seiner Ansicht nach habe keiner dieses Kapitel richtig erfaßt. Aber dafür sei ja noch Zeit, er sei schließlich erst neunzehn. Zunächst einmal habe er eingesehen, daß er in der Mathematik mehr leisten könne. Wenn man schon auf der Welt sein müsse, gefragt habe einen ja keiner, könne man auch versuchen, etwas zustande zu bringen. Zum Beispiel die Lösung der Frage, was eine Zahl sei. Die Grundlegung der Arithmetik.
Ein Lebenswerk, sagte Bartels.
Gauß nickte. Mit etwas Glück werde er in fünf Jahren fertig sein.
(Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt, 17. Aufl., Rowohlt: Reinbek bei Hamburg 2006, S. 85 f.)
Durch die Gegenüberstellung der beiden Lebenswege und Ansichten werden sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten deutlich: Die empirische versus die rationalistische Erfassung der Welt – die beide gleichwohl Unverständnis von der Umwelt ernten, zwar zu großem Ruhm verhelfen, aber dennoch zu (innerer) Einsamkeit führen.
Herrlich eingefangen, die immense Welterkenntnis bei gleichzeitiger absoluter Weltfremdheit, die sowohl den Weltreisenden als auch den Daheimbleibenden verbinden.
Fazit:
Niveauvolle und zugleich unterhaltsame Lektüre.
Auch wenn ich etwas bedauerlich finde, wie schlecht Wilhelm von Humboldt (gemein) und Immanuel Kant (völlig verwirrt) wegkommen, kann ich das Buch nur weiterempfehlen.