Lectrix – Notizen einer Leserin

26. Dezember 2006

Terry Pratchett: Ein Hut voller Sterne. Ein Märchen von der Scheibenwelt

Filed under: Terry Pratchett — Lectrix @ 18:30

Letztes Jahr schenkten wir unseren Gastgebern während der Weihnachtstage „Kleine freie Männer. Ein Märchen von der Scheibenwelt“. Als ich dieses Jahr mit „Ein Hut voller Sterne. Ein Märchen von der Scheibenwelt“ die Fortsetzung davon in ihrem Bücherregal fand, freute ich mich zwiefach: Zum Einen deute ich das doch als sicheres Zeichen, dass Ihnen unser damaliges Geschenk gefiel, zum Anderen erhielt ich dadurch die Gelegenheit, die Fortsetzung während unseres Aufenthaltes selbst zu lesen. Noch mehr freute ich mich allerdings, als ich zu lesen begann, denn „Ein Hut voller Sterne“ ist wahrlich lesenswert.

Es ist zwar in einer Fantasywelt angesiedelt, es gibt Hexen und märchenhafte Gestalten, aber das heißt nicht, dass es sich dabei „nur“ um einen Fantasyroman handeln würde, dass man aus diesem Buch nicht auch viel über das Leben, die Menschen und Menschenführung lernen könnte. Die Romane um Tiffany Weh weisen m.E. nämlich durchaus einige Gemeinsamkeiten mit den klassischen Bildungsromanen auf.

Zum Beispiel die Sache mit dem Abort der Raddels. Frau Grad hatte Herrn und Frau Raddel mehrmals geduldig erklärt, dass er viel zu nahe beim Brunnen stand und das Trinkwasser deshalb voller winzig kleiner Tierchen war, die die Kinder krank werden ließen. Sie hatten jedes Mal aufmerksam zugehört und den Abort nie verlegt. Frau Wetterwachs behauptete, hinter den Krankheiten steckten böse Kobolde, die von dem Geruch angelockt wurden, und als sie die Hütte verließen, gruben Herr Raddel und drei seiner Freunde auf der anderen Seite des Gartens einen neuen Brunnen.
»Die Krankheiten werden tatsächlich von winzigen Geschöpfen verursacht, weißt du«, sagte Tiffany, die einmal einem reisenden Lehrer ein Ei gegeben hatte, um sein **Erstaunlicher mikroskopischer Apparat! Ein Zoo in jedem Tropfen abgestandenem Wasser** zu sehen. Am nächsten Tag hätte sie fast einen Zusammenbruch erlitten, weil sie nichts trank. Einige der Geschöpfe waren haarig gewesen.
»Stimmt das?«, fragte Frau Wetterwachs sarkastisch.
»Ja. Und Frau Grad legt Wert darauf, immer die Wahrheit zu sagen!«
»Ausgezeichnet. Sie ist eine gute, ehrliche Frau«, sagte Frau Wetterwachs. »Doch ich meine: Man muss den Leuten eine Geschichte erzählen, die sie verstehen. Ich glaube, derzeit müsste man ziemlich viel von der Welt verändern und Herrn Raddels dummen dicken Kopf ein paar Mal gegen die Wand stoßen, bis er glaubt, dass man krank werden kann, wenn man Wasser mit unsichtbaren Tieren darin trinkt. Und während man damit beschäftigt ist, geht es den Kindern schlechter. Böse Kobolde… Das ergibt heute einen Sinn. Und die Geschichte bewirkt, dass die Dinge richtig laufen. Und wenn ich morgen Fräulein Tick sehe, sage ich ihr, es wird Zeit, dass die reisenden Lehrer hierher kommen.«
[…]
Sie sah zur Seite, bemerkte Tiffanys Gesichtsausdruck und klopfte ihr auf die Schulter.
»Schon gut«, sagte sie. »Sieh es so: Morgen besteht deine Aufgabe darin, die Welt in einen besseren Ort zu verwandeln. Und meine Aufgabe ist es heute dafür zu sorgen, dass ihn alle erreichen.«
(Terry Pratchett: Ein Hut voller Sterne. Ein Märchen von der Scheibenwelt, München: Manhattan 2006, S. 255-257)

Wie an diesem Zitat deutlich werden dürfte, handelt es sich nichtsdestotrotz um einen Terry Pratchett. Ich meine, der Humor kommt nicht zu kurz. Es werden zwar einige Denkanstöße gegeben, aber vor allem wird viel Anlass zum Schmunzeln geboten.

Besonders gefreut hat mich in diesem Zusammenhang, dass man beim zweiten Teil der Reihe nicht nur Tiffany Weh wieder begegnet, sondern auch den Wir-sind-die-Größten, diesen knapp 15 cm großen Kobolden, mit ihrer unerschrockenen Einsatzbereitschaft, ihren ganz eigenen Moralvorstellungen und ihren herzerfrischenden Denkweisen, die ich bereits bei „Kleine freie Männer. Ein Märchen von der Scheibenwelt“ lieb gewann.

Frau Grad sah zur Uhr ohne Zeiger. »Es wird spät«, sagte sie. »Was genau schlägst du vor, Herr Irgendwer?«
»Wie bitte?«
»Habt ihr einen Plan?«
»Oh, ja!«
Rob Irgendwer kramte in dem Lederbeutel, den die meisten Größten an ihrem Gürtel tragen. Ihr Inhalt ist normalerweise ein Geheimnis, aber manchmal zählen interessante Zähne dazu.
Er holte einen mehrfach gefalteten Zettel hervor.
Frau Grad entfaltete ihn vorsichtig.
»PLN?«, las sie.
»Ja«, sagte Rob stolz. »Wir sind vorbereitet! Es ist aufgeschrieben! Peh Ell Enn. Plan.«
»Äh… wie soll ich es ausdrücken…« Frau Grad überlegte. »Ihr seid den ganzen weiten Weg hierher geeilt, um Tiffany vor einem Geschöpf zu retten, das man nicht sehen, nicht berühren, nicht riechen und nicht töten kann. Was habt ihr vor, wenn ihr es findet?«
Rob Irgendwer kratzte sich am Kopf, was einen Regen aus verschiedenen Objekten verursachte.
»Ich glaube, da hast du den schwachen Punkt des Plans entdeckt«, gestand er.
(Terry Pratchett: Ein Hut voller Sterne. Ein Märchen von der Scheibenwelt, München: Manhattan 2006, S. 193 f.)

Was es mit dem Geschöpf, das man nicht sehen, nicht berühren, nicht riechen und nicht töten kann, genauer auf sich hat, und wie und mit welcher Hilfe Tiffany diese Bedrohung letztlich meistert, liest jeder, der Freude an solchen Geschichten hat, am Besten selbst.

Ich freue mich nun jedenfalls schon auf „Der Winterschmied“ – die Fortsetzung , die im Februar erscheinen soll.


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