Michael Böckler – Tödlicher Tartufo
Auch wenn auf dem Cover „Der 2. Fall für Hippolyt Hermanus“ steht, handelt es sich bereits um das 3. Buch von Michael Böckler, in dem Hipp die Hauptrolle hat, da die Krimis „Sterben wie Gott in Frankreich“ sowie „Vino Criminale“ sowohl vorher erschienen als auch die beschriebenen Ereignisse nur in dieser chronologischen Reihenfolge Sinn ergeben.
So begegnet man in „Tödlicher Tartufo“ einigen Personen wieder, die man schon in der vorausgehenden Geschichte kennen und lieben lernte:
Hippolyt hatte sich mit Maresciallo Viberti in dessen Lieblings-Osteria zum Essen verabredet. Er kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass dies die einzige Möglichkeit war, ihm Informationen zu entlocken. Wie üblich übernahm es Viberti, das Menü zusammenzustellen, eine Aufgabe, für die er in höchstem Maße qualifiziert war. Hipp stellte amüsiert fest, dass der Maresciallo ein einfaches Konzept verfolgte – indem er nämlich durchgängig jedes Gericht mit Trüffel bestellte, angefangen von Uovo in cocotte con tartufo bianco*, was immer das auch sein mochte, über Tarjarin con tartufo* bis zu Tagliata con tartufo bianco*.
Viberti zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Signor Hermanus, es ist nun mal Trüffelzeit. Nur Ignoranten bestellen im Oktober etwas anderes. Außerdem haben Sie extra den weiten Weg aus der kulinarischen Wüste ins gesegnete Piemont*auf sich genommen.«
»Kulinarische Wüste?«
»Die Toskana, mein lieber Dottore. Ich verstehe sowieso nicht, warum Sie sich gerade dort niedergelassen haben. Nun gut, es gibt ein paar schöne Gebäude, da will ich nichts sagen, die Renaissance ist eine feine Sache. Aber seien Sie doch mal ehrlich, rein kulinarisch hat die Toskana nicht viel zu bieten. Schmecken Ihnen vielleicht Fagioli? Bei den Florentinern muss genetisch irgendetwas passiert sein, dass sie so in weiße Bohnen vernarrt sind. Die Bistecca alla fiorentina ist etwas für englische Touristen. Die Cantuccini aus Prato sind so hart, dass man sie erst in Vin Santo tunken muss, um sie überhaupt essen zu können. Und wie kann man Pecorino über die Pasta reiben, wo es doch wunderbaren Parmigiano gibt? Von der Livorneser Fischsuppe will ich gar nicht reden, eine äußerst unappetitliche Angelegenheit.«
Hipp musste lachen, die Gespräche mit Viberti schienen immer dem gleichen Muster zu folgen. »Sie übertreiben, verehrter Maresciallo. Man kann in der Toskana vorzüglich essen. Zum Beispiel…«
»Zum Beispiel gibt es in der ganzen Toskana kein gutes Risotto«, unterbrach in Viberti, »das ist eine allseitsbekannte Tatsache. Polenta mit Haselnüssen? Fehlanzeige! Einen Brasato al Barolo*? Unbekannt! Agnolotti? Noch nie gehört! Agnolotti con tartufo bianco? Das scheitert schon an der Trüffel!«
»Sie wissen, dass man in der Toskana sehr wohl Trüffeln findet«, merkte Hipp vorsichtig an.
»Ja, das weiß ich. Aber nach meiner subjektiven Einschätzung können sie sich in keinster Weise mit der originären Alba-Trüffel messen. Deshalb ist es besonders dreist, wenn gelegentlich Trüffeln aus der Toskana* oder den Marken* unter unsere königlichen Tartufi d’Alba geschmuggelt werden. In meinen Augen handelt es sich bei diesem Delikt um ein Kapitalverbrechen.«
Hipp reichte Viberti die Weinkarte, in der Hoffnung, seinen Redefluss auf diese Weise zumindest vorübergehend zu unterbrechen. »Darf ich Sie bitten, uns einen Wein auszuwählen.«
Der Mareciallo wehrte die umfangreiche, in Leder gebundene Mappe elegant ab. »Nein, vielen Dank. Erstens kenne ich die Weinkarte auswendig. Zweitens sind Sie der Gastgeber. Und drittens, mein lieber Dottore, mögen Sie zwar beim Essen noch gewisse Bildungsdefizite haben, aber beim Wein verfügen Sie über phänomenale Kenntnisse und einen unübertroffenen Geschmackssinn. Davon habe ich mich mehr als einmal überzeugt. Ich lege mein Schicksal vertrauensvoll in Ihre Hände.«
Hipp schmunzelte. »Soll ich zum Auftakt einen Wein aus der Toskana bestellen?«
Viberti ließ ein leises Stöhnen vernehmen. »Wenn es unvermeidbar ist. Aber bitte keinen Chianti, auf diesen Wein reagiere ich gewöhnlich mit einem allergischen Schock.«
»Also vielleicht doch lieber einen feinen Spumante zum Auftakt. Und danach einen Barbaresco*, wie wäre es mit einem Costa Russi von Angelo Gaja?«
Der Maresciallo küsste seine zu einer Rose geformten Fingerspitzen. »Ottimo, complimenti. Ich wusste ja, ich kann mich auf Ihren noblen Geschmack verlassen.«
[Michael Böckler: Tödlicher Tartufo. Der 2. Fall für Hippolyt Hermanus, München: Knaur 2008, S. 51-54]
Wie man schon aus dem vorhergehenden Buch gewohnt ist, sind zu den mit * gekennzeichneten Begriffen Erläuterungen im Anhang zu finden. So steht dort unter dem Stichwort „Uovo in cocotte con tartufo bianco“ z.B.:
Bei dieser Variante der Fonduta al tartufo kommt ein verlorene (und gut verstecktes) Ei ins Spiel. Zunächst wie beim Rezept für Fonduta (s. dort) eine cremige Käsesauce herstellen. Danach Wasser mit einem Schuss Essig zum Kochen bringen, mit Hilfe einer Suppenkelle ein rohes Ei hineingleiten und so lange stocken lassen, bis das Eiweiß fest ist. Das Ei vorsichtig herausfischen, in eine kleine hitzefeste Form geben, mit der heißen Käsesauce begießen und eine weiße Trüffel darüberhobeln. Im Roman wird Hipp von Viberti im korrekten Verzehr dieser Spezialität unterwiesen. Mit einem kleinen Löffel werden Trüffel, geschmolzener Fontina-Käse und das verlorene (wachsweiche) Ei miteinander verrührt.
[Michael Böckler: Tödlicher Tartufo. Der 2. Fall für Hippolyt Hermanus, München: Knaur 2008, S. 429]
Neben Informationen zu Wein werden also auch in diesem Buch wieder Rezepte und Hintergrundwissen zu regionaltypischen Gerichten und Zutaten geboten. Allerdings werden wir davon wohl kaum welche nachkochen, geht es dieses Mal – wie schon durch den Titel zum Ausdruck kommt – doch vor allem um Trüffel und lernt man schon bald, dass man bei deren Erwerb besser nicht sparen sollte. Trotzdem fand ich interessant, mehr über diesen Pilz zu erfahren.
Darüber hinaus bietet Michael Böckler aber auch noch einen gelungenen Krimi. Dieses Mal gilt es die Morde an einem Trüffelsucher, einem passionierten Weinsammler und einem der Besitzer eines Feinkostversandhandels aufzuklären, bei denen der Erste bei der Trüffelsuche erschossen, der Zweite von einem einstürzenden Weinregal erschlagen und der Letzte in einer Tiefkühltruhe mit Scampi gefunden wurde – es bleibt also in gewisser Weise kulinarisch.
Mir hat die Lektüre gefallen.
Ich kann darum auch diesen Krimi uneingeschränkt weiter empfehlen.