Lectrix – Notizen einer Leserin

16. September 2006

Daniel Kehlmann: Mahlers Zeit

Filed under: Daniel Kehlmann — Lectrix @ 17:00

David Mahler, ein dicker, kurzsichtiger, unter Asthma und Herzproblemen leidender, junger Physiker, beschäftigt sich bereits seit Jahren mit dem Sonderfall der Zeit. Während alle anderen Vorgänge des Universums zyklisch sind, soll allein die Zeit dies nicht sein – das besagt zumindest der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, dessen unumstößliche Gültigkeit er aber bezweifelt. Eines Nachts kommt er auf die Lösung.

David erschrak. Er fror. Für einen langen Moment wusste er nicht, wo er sich befand. Etwas war geschehen. Als wäre ein Riß durch ihn gegangen, als hätte ein Teil von ihm ihn verlassen; und plötzlich spürte er eine Bewegung: Etwas kam auf ihn zu. Vor ihm auf dem Tisch lag ein Stoß von dreißig beschriebenen Blättern, bekritzelt in einer großen, zittrigen Schrift: leicht schiefe Kolonnen von Zahlen, Skizzen, Kurven, die sich in weiten Bögen über das Papier schlängelten, Diagramme, die keinen Sinn zu haben schienen, beschriftet mit Zeichen, die er hatte er erfinden müssen; aber all das war, wenn man es begriff, von leuchtend perfekter Klarheit.
(Daniel Kehlmann: Mahlers Zeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1999, S. 14 f.)

David Mahler ist fest davon überzeugt, damit die vier Formeln gefunden zu haben, die zusammen den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik außer Kraft zu setzen vermögen. Nun muss er nur noch jemanden finden, der ihm glaubt und seine Entdeckung und ihre Tragweite nachvollziehen kann…

Soweit so gut und vielversprechend.

Daniel Kehlmann versucht in diesem Roman von da an, die Auflösung der Gerichtetheit und des gleichmäßigen Ablaufs der Zeit literarisch zu erfassen. Die Beschreibung der Versuche des Hauptakteurs seine Freundin, seinen besten Freund, seine Studenten und seinen Professor von seiner Entdeckung zu überzeugen, geraten dabei mit der Erzählung seiner Bemühungen Kontakt mit dem schon lange bewunderten Nobelpreisträger aufzunehmen durcheinander, sowie mit der Wiedergabe von Kindheitstraumata.

Eigentlich interessant gemacht. Eigentlich ein passender Ansatz.

Aber die Kindheitstraumata waren mir persönlich echt zu heftig – unnötig heftig.
Und Mahlers zunehmenden Verfolgungswahn fand ich eher anstrengend.

Das soll jetzt nicht heißen, dass ich das Buch nicht dennoch in kürzester Zeit verschlungen hätte und bis zum Ende gespannt war, ob es ihm gelingen würde, den Nobelpreisträger zu erreichen und seine Ideen dessen Überprüfung standhalten würden – oder ob er doch nur extreme psychologische Probleme und Wahrnehmungsstörungen hat.

Es soll aber deutlich machen, dass ich den Roman nur eingeschränkt weiter empfehlen kann.


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