Lectrix – Notizen einer Leserin

31. Oktober 2007

Robert Harris: Imperium

Filed under: Robert Harris — Lectrix @ 19:00

Diesen Roman haben wir uns in zwei Etappen vorgelesen, die erste Hälfte noch vor unserem Sommerurlaub, die zweite Hälfte nun danach. Das Buch bietet sich dafür regelrecht an, denn es enthält zwei Teile und es vergehen zwischen den jeweils beschriebenen Ereignissen auch Jahre, die übersprungen bzw. ganz knapp umrissen werden:

Ich schlage vor, dass ich meinen Bericht zwei Jahre nach den Ereignissen am Ende der letzten Schriftrolle wieder aufnehme. Ich fürchte, dass diese Auslassung viel über die Natur des Menschen aussagt. Würde man mich nämlich fragen: »Warum, Tiro, überspringst du eine solch lange Periode in Ciceros Leben?«, dann käme ich nicht umhin zu antworten: »Weil das glückliche Jahre waren, mein Freund, und was ist langweiliger, als von glücklichen Zeiten zu erzählen?«
[Robert Harris: Imperium, übersetzt von Wolfgang Müller, München: Heyne 2006, S. 245]

Auch wenn diese Auslassung nur vielleicht viel über die Natur des Menschen aussagt, sagt dieses Zitat aber auf jeden Fall viel über diesen Roman von Robert Harris aus:

  • Es handelt sich um eine Biographie Ciceros, die (vorgeblich) Tiro im Rückblick verfasst.
  • Es werden nur die wesentlichen Perioden aufgenommen.
    (im 1. Teil: der Verres-Prozess, im 2. Teil: der (Wahl)kampf um das Amt des Prätors und um das Amt des Konsuls)
  • Diese Perioden sind ereignisreich und gewiss nicht stressfrei, glücklich oder gar langweilig.

Robert Harris gelingt es auf diese Weise auch dem historisch nicht besonders vorgebildeten Leser einen interessanten Zugang zu der Spätphase der römischen Republik mit ihren politischen Verwicklungen und Ränkespielen zu eröffnen.

Durch die Entscheidung für Tiro als Ich-Erzähler hat Robert Harris zudem einen Cicero loyalen Berichterstatter gewählt, der selbst als positive Bezugsperson bestehen bleiben und zugleich Erklärzungen/Entschuldigungen für Ciceros taktierendes Verhalten präsentieren kann. Denn während Cicero im ersten Teil noch als strahlender Saubermann dargestellt werden kann, lassen sich in der Periode des Wahlkampfs bedenklich stimmende Koaliationen, damit verbundene Absprachen und an den Tag gelegte Verhaltensweisen nun mal nicht völlig leugnen, sofern man die geschichtliche Wahrheit nicht zu sehr verbiegen möchte.

Wir haben beide Teile mit Freude und großem Interesse gelesen, denn auch wenn man vorher schon weiß, wie der Verres-Fall ablief, zu welchen Koaliationen es kam und wie die Wahlen ausgingen, bietet dieser Roman eine schöne Auffrischung dieses Wissens aus einem anderen Blickwinkel und in einem angenehm zu lesenden Stil.

Ein empfehlenswerter historischer Roman.


18. Dezember 2006

Robert Harris: Vaterland

Filed under: Robert Harris — Lectrix @ 19:00

Bisher stand ich Werken des Genres „Alternative Geschichte“ äußerst skeptisch gegenüber.

Innerhalb des letzten Monats empfahlen mir aber verschiedene Bekannte unabhängig voneinander dieses Buch. Da es von Robert Harris ist und mir dessen Roman „Pompeiji“ so ausgesprochen gut gefiel, beschloss ich, ihm eine Chance zu geben.

Jetzt muss ich zugeben, „Alternative Geschichte“ kann sehr interessant und lesenswert sein.
„Vaterland“ ist dieses auf jeden Fall.

Dieser Roman ist darüber hinaus auch noch spannend, denn „Vaterland“ führt nicht nur in einer Art Gedankenexperiment überzeugend vor, wie Deutschland bzw. „Das Großdeutsche Reich“ in den sechziger Jahren ausgesehen haben könnte, wenn Deutschland den 2. Weltkrieg gewonnen hätte, sondern ist insbesondere auch ein Thriller, bei dem diese Szenerie nicht nur als Kulisse dient und der eine konsequente sowie in sich schlüssige Auflösung bietet.

Eine Beschreibung des Inhalts ist schwierig, will man nicht zu viel verraten. Relativ unbedenklich kann aber darauf hingewiesen werden, dass eine Woche vor dem 75. Geburtstag des Führers eine Leiche am Ufer eines der Havelseen entdeckt wird und Xaver März, Mordfahnder der Berliner Kriminalpolizei, die Aufklärung des Falls übernimmt. Da sich weder Kleidung noch Papiere finden lassen, bittet er Otto Koth, den stellvertretenden Leiter der Fingerabdruckabteilung darum, die Abdrücke der Leiche in der Verbrecherkartei nachzuschlagen. Noch am selben Tag erhält er folgenden Anruf:

»Tut mir so leid, Sie zu wecken.« Koth war sarkastisch. »Aber ich dachte, dass dies Vorrang hat. Soll ich morgen nochmal anrufen?«
»Nein, nein.« März war hellwach.
»Sie werden das mögen. Das ist wunderbar.« Zum ersten Mal in seinem Leben hörte März Koth kichern. »Alsdann, Sie spielen doch keine Spielchen mit mir? Das ist doch kein kleiner Witz, den Sie und Jäger sich miteinander ausgeknobelt haben?«
»Wer ist es?«
»Zuerst den Hintergrund.« Koth amüsierte sich viel zu sehr, als dass er sich hetzen ließ. »Wir mussten weit zurückgehen, um die Entsprechung zu finden. Sehr weit zurück. Aber wir haben sie gefunden. Perfekt. Kein Zweifel. Über Ihren Mann gibt es tatsächlich eine Akte. Er ist ein einziges Mal in seinem Leben verhaftet worden. Von unseren Kollegen in München vor vierzig Jahren. Um genau zu sein, am 9. November 1923.«
Schweigen. Fünf, sechs, sieben Sekunden verstrichen.
»Aha! Ich merke, dass selbst Sie die Bedeutung dieses Datums erkennen.«
»Ein alter Kämpfer.« März griff neben den Sessel nach seinen Zigaretten. »Sein Name?«
»In der Tat. Ein alter Parteigenosse. Zusammen mit dem Führer nach dem Putsch im Bürgerbräukeller verhaftet. Sie haben einen der ruhmreichen Pioniere der Nationalsozialistischen Revolution aus dem See gefischt.« Koth lachte wieder. »Ein klügerer Mann hätte ihn da gelassen, wo er war.«
»Wie heißt er?«
(Robert Harris: Vaterland: Goldmann (Lizenz-Ausgabe für die Stern Krimi-Bibliothek) 2005, S. 51 f.)

Bei den weiteren Ermittlungen wird Xaver März schnell deutlich, dass einflussreiche Personen mit skrupelosen Methoden versuchen, sowohl die aktuellen Ereignisse als auch die sich nach und nach abzeichnenden Zusammenhänge zu vertuschen, deren publik werden gerade in Anbetracht des angekündigten Besuches Präsident Kennedys äußerst unpassend wären…

Jedem der Politthriller mag und sich einmal auf andere Weise mit dem Schrecken des Nationalsozialismus auseinander setzen möchte, ist dieser Roman damit zu empfehlen.


18. September 2006

Robert Harris: Pompeji

Filed under: Robert Harris — Lectrix @ 12:30

Erstaunlich.
Erstaunlich, wie spannend ein Roman sein kann, bei dem man große Teile des Ablaufs des Geschehens schon vor der ersten Lektüre kennt.

Und falls es unter den Lesern doch jemanden geben sollte, der nicht weiß, dass der Vesuv am 24.8.79 n.Chr. ausbrach, weist Robert Harris durch die Überschriften der vier Teile des Buches ausdrücklich auf die Chronologie hin:

  • „Mars – 22. August – Zwei Tage vor dem Ausbruch“
  • „Merkur – 23. August – Der Tag vor dem Ausbruch“
  • „Jupiter – 24. August – Der Tag des Ausbruchs“
  • „Venus – 25. August – Der letzte Tag des Ausbruchs“

Aber das tut der Spannung, wie eingangs bereits erwähnt, keinen Abbruch. Eher im Gegenteil. Dadurch dass die Kapitel zudem nach den Stunden benannt sind, wird die Stimmung einer tickenden Zeitbombe erzeugt.
Denn auch wenn der Leser sich erinnert, dass Pompeji, Herculaneum, Oplontis und Stabiae damals verschüttet wurden und der größte Teil der Bevölkerung dieser Orte entweder direkt oder auf der Flucht dem Ausbruch zum Opfer fiel, nutzt Robert Harris geschickt, dass die damaligen Bewohner der Region und somit auch die Protagonisten seines Romans, das nicht wussten.

Und so ergreift der Wasserbaumeister Attilius als er erst ein Nachlassen des Wasserdrucks und dann eine erhöhte Schwefelkonzentration im über das Aquädukt Aqua Augusta kommende Wasser bemerkt, nicht etwa die Flucht, sondern macht sich stattdessen auf den Weg, um die Ursache der Schwierigkeit zu ergründen und die Wasserversorgung der Städte am Golf von Neapel sicher zu stellen.

Und so schickt Attilius die Frau, in die er sich verliebt hat, am Morgen des Tages des Ausbruchs vom Fuße des Vesuv, wo er die mysteriös – durch Magma – zerstörte Wasserleitung reparierte, nach Pompeji:

»[…] Außerdem ist das nicht so wichtig. Die Hauptsache ist, dass du von hier fortkommst. Irgendetwas passiert mit dem Berg. Ich weiß nicht, was es ist. Exomnius hat es schon vor Wochen vermutet. Es ist, als…« Er brach ab. Er wusste nicht, wie er es in Worte fassen sollte. »Es ist, als – als würde er lebendig. In Pompeji wirst du sicherer sein.«
Sie schüttelte den Kopf. »Und was wirst du tun?«
»Nach Misenum zurückkehren. Dem Befehlshaber Bericht erstatten. Wenn irgendjemand einen Sinn in das hineinbringen kann, was hier passiert, dann er.«
(Robert Harris: Pompeji, München: Heyne, 2003, S. 251)

Und so kommt es, dass Attilius mit an Bord des Schiffes ist, auf dem Plinius am 24. August in den Golf von Neapel hinein segelt, um das Ereignis genauer beobachten zu können:

Plinius umklammerte die Armlehnen seines Stuhls, zu überwältigt, um etwas zu sagen. Doch dann erinnerte er sich an seine Pflicht gegenüber der Wissenschaft. »Jenseits von Pausilypon«, diktierte er zögernd, »sind der gesamte Vesuv und die ihn umgebende Küste vollständig von einer driftenden Wolke verhüllt, weißlich grau und von schwarzen Streifen durchzogen!« Aber das war zu nichtssagend, dachte er; er musste einen Eindruck von Ehrfurcht erwecken. »Darüber hinausragend, sich wölbend und entrollend, als würden die heißen Eingeweide der Erde herausgezerrt und himmelwärts gezogen, erhebt sich die zentrale Säule der Manifestation.« Das war besser. »Sie wächst«, fuhr er fort, »als würde sie von einer ununterbrochenen Explosion angetrieben. Aber in ihrem oberen Teil wird das Gewicht der ausgestoßenen Materie zu groß; sie sinkt ab und dehnt sich seitwärts aus. Ist das auch deine Meinung, Aquarius?«, rief er. »Ist es das Gewicht, dass die Verbreiterung bewirkt?«
»Das Gewicht, Befehlshaber«, rief er zurück. »Oder der Wind.«
»Ja, das leuchtet ein. Füg das hinzu, Alexion. In größerer Höhe scheint der Wind stärker zu sein, und er treibt die Manifestation nach Südosten.« Er wandte sich an Torquatus. »Wir sollten uns diesen Wind zunutze machen! Lass die Segel setzen!«
(Robert Harris: Pompeji, München: Heyne, 2003, S. 318)

Alles in allem eine sehr spannende Schilderung der Katastrophe, die sich 79 n.Chr. am Vesuv ereignete und darüber hinaus ein sehr interessanter Roman zur römischen Antike, in dem zum Einen die beeindruckenden Errungenschaften der Römer im Bereich der Wasserversorgung anschaulich beschrieben werden und Plinius ein Denkmal gesetzt wird, zum Anderen aber auch die krassen sozialen Missstände und die Dekadenz der Reichen – und insbesondere der Neureichen – vorgeführt wird.

Abschließen möchte ich diesen Beitrag mit dem Zitat einer herrlich ironischen Passage, die sich Robert Harris an einer Stelle erlaubt. Während sich allmählich immer mehr Bewohner Pompejis doch beginnen Sorgen zu machen, bemüht sich ein ‚Investor‘, die führenden Politiker durch die Bekanntgabe dieser Prophezeiung zu beschwichtigen:

Ampliatus stellte eine angemessen feierliche Miene zur Schau. »Sie hat Sabazius Schlangen geopfert und sie dann abgehäutet, um ihre Bedeutung zu erkennen. Ich war die ganze Zeit dabei.« Er erinnerte sich an die Flammen auf dem Altar, den Rauch, die glitzernden Hände, den Weihrauch, die zittrige Stimme der Sybille: Schrill, kaum menschlich war sie gewesen […]. Der ganze Vorgang hatte ihn wider Willen beeindruckt. »Sie hat eine Stadt gesehen – unsere Stadt -, viele Jahre später. Tausend Jahre später, vielleicht sogar mehr.« Er dämpfte seine Stimme zu einem Flüstern. »Sie hat eine Stadt gesehen, die in der ganzen Welt berühmt ist. Unsere Tempel, unser Amphitheater, unsere Straßen – überall wimmelte es von Menschen jeder Sprache. Das war es, was sie in den Eingeweiden der Schlangen gesehen hat. Was wir hier gebaut haben, wird fortdauern – noch lange nachdem die Caesaren zu Staub zerfallen und das Imperium untergegangen ist.«
(Robert Harris: Pompeji, München: Heyne, 2003, S. 268)


Powered by WordPress