Jörg Kastner: Die Farbe Blau
Mit Genuß habe ich diesen Roman gelesen, dessen Handlung im Amsterdam der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts angesiedelt ist, welches sinnenreich und in flüssigem Stil nahezu plastisch beschrieben wird.
Es handelt sich vorrangig um einen Krimi. Nebenbei wird aber auch viel zum Leben und Wirken des Malers Rembrandt vermittelt sowie über die allgemeinen Lebensumstände in dessen Zeit. Ich hoffe, dass „echte“ Biographen Jörg Kastner seine Darstellung und Interpretation nicht verübeln. Mir hat der in gewisser Hinsicht doch eher respektlose Zugang gefallen.
Die Geschichte wird von dem Ich-Erzähler Cornelis Bartholomeusz Suythoff berichtet, der selbst gerne Maler wäre, doch seinen Lebensunterhalt nicht durch das Malen bestreiten kann und deshalb zu Beginn der Ereignisse als Zuchthausaufseher arbeitet. Sein Kollege Ossel schmuggelte ein Gemälde in die Zelle eines reichen Bürgers, der verhaftet wurde, weil er seine Familie auf grausame Weise ermorderte. Da der Zelleninsasse in der Nacht darauf seinerseits Selbstmord beging, muss das Bild unauffällig wieder an seinen angestammten Ort gebracht werden. Bei dieser Gelegenheit fällt dem Ich-Erzähler etwas Ungewöhnliches auf:
»Jeder Maler hinterläßt seinen Namen oder wenigstens sein Zeichen auf dem Bild. Das verlangt der Stolz ebenso wie die Geschäftstüchtigkeit. Schließlich ist ein Maler auf weitere Aufträge angewiesen. Die Leute müssen also wissen, von wem das Werk stammt, das sie betrachten. Hier kann ich aber keine Signatur entdecken, beim besten Willen nicht.«
»Vielleicht war der Maler in diesem Fall nicht eben stolz auf sein Werk«, mutmaßte Ossel und ließ sich auf einen Stuhl nieder, der unter dem Gewicht erschrocken knarrte.
»Das glaube ich nicht. Es ist ein gutes Bild. Sieh hier, wie das Licht auf die Gesichter der Kinder fällt, das ist meisterhaft!«
Ossel beugte sich über den Tisch und starrte mit großen Augen auf das Bild. »Also, ich hätte das anders gemacht.«
»Was meinst Du?«
»Die wichtigste Person auf dem Bild ist doch der Blaufärber. Er dürfte es schließlich in Auftrag gegeben haben. Also sollte das Licht auf ihn fallen und nicht auf die Kinder. Der Maler ist ein Stümper. Kein Wunder, daß er seinen Namen nicht aufs Bild gekritzelt hat.«
Ich blickte Ossel empört an. »Du hast verdammt keine Ahnung von der Malerei, Ossel. Gerade diese Lichtgebung hat mich fasziniert. Ich finde es sehr ausgeklügelt, daß der Blick des Betrachters zuerst auf die Kinder gelenkt wird. Die schauen ihren Vater an, und dadurch wird dessen Stellung erst besonders hervorgehoben. Wäre das Bild in anderen Farben, würde ich es Meister Rembrandt zuordnen.«
(Jörg Kastner: Die Farbe Blau, München: Knaur 2005, S. 33 f.)
Aber das Bild ist nicht in Rembrandts bevorzugten Farben gemalt, die da sind „Weiß, Schwarz, Gelbocker und ein irdenes Rot“, sondern „in verschiedenen Schattierungen eines eindringlichen Blaus“…