Harry Mulisch: Siegfried. Eine schwarze Idylle
Ich zögere etwas, Harry Mulisch zu kritisieren, denn sein „Das Attentat“ und sein „Die Entdeckung des Himmels“ begeisterten mich sehr. Nichtsdestotrotz gefällt mir „Siegfried. Eine schwarze Idylle“ als Ganzes nicht.
Die Grundidee halte ich zwar für sehr interessant: Es ist schon gewagt, Eva Braun und Hitler ein gemeinsames Kind haben zu lassen, zu dem sie sich allerdings nicht bekennen, sondern es stattdessen als Kind der Hausangestellten ausgeben, wodurch sie es in ihrer Nähe behalten können. Die Stimmung, die damals auf dem Obersalzberg geherrscht haben muss, scheint mir auf jeden Fall überzeugend eingefangen. Auch die Rahmenhandlung mit dem berühmten Schriftsteller, dem die beiden alt gewordenen Hausangestellten zögernd und voll schlechten Gewissens davon erzählen, empfinde ich als gelungen. Die ersten 15 Kapitel des Buches habe ich also mit Genuss und voller Spannung gelesen.
Kapitel 16 und 17 stehe ich jedoch äußerst skeptisch gegenüber, denn einerseits finde ich einen Teil der dort angestellten Überlegungen durchaus interessant, aber andererseits halte ich die daraus gezogenen Schlüsse und festgestellten Zusammenhänge für bestenfalls abwegig.
Bezüglich der fiktiven Auszüge aus Eva Brauns Tagebuch, die Kapitel 18 darstellen, schwanke ich noch, denn einerseits fand ich diese durchaus faszinierend und die Stimmung im Führerbunker wahrscheinlich passend wieder gegeben, doch andererseits erscheint mir die darin enthaltene Begründung für den Befehl Hitlers zur Ermordung seines Sohnes nicht überzeugend.
Den Rest gab mir dann jedoch das 19. und letzte Kapitel des Buches. Hatte ich zuvor die angeblichen Alpträume Hitlers noch als hinnehmbar angesehen, empfinde ich die abschließende Mystifizierung durch Wiederaufnahme des »…er…er…er ist hier…« als völlig unnötig.
Ich legte das Buch also nach dem Lesen der letzten Seite enttäuscht fort.
Nachdem ich, zwecks Verfassens dieser Beschreibung, etliche Passagen nochmal gelesen habe, muss ich jedoch einräumen, dass ich meinen Eindruck nach der ersten Lektüre, der in mir das Gefühl aufkommen ließ, Harry Mulisch kritisieren zu müssen, relativieren muss. Das Buch ist schon gelungen. Harry Mulisch ist darum nicht als Autor zu kritisieren. Er vertritt an einigen Stellen allerdings Positionen, Ansichten, Einsichten – bzw. lässt diese sein Alter Ego vertreten -, die ich nicht teilen kann. Literarisch ist das Buch aber dennoch wertzuschätzen.