Lectrix – Notizen einer Leserin

18. Dezember 2006

Robert Harris: Vaterland

Filed under: Robert Harris — Lectrix @ 19:00

Bisher stand ich Werken des Genres „Alternative Geschichte“ äußerst skeptisch gegenüber.

Innerhalb des letzten Monats empfahlen mir aber verschiedene Bekannte unabhängig voneinander dieses Buch. Da es von Robert Harris ist und mir dessen Roman „Pompeiji“ so ausgesprochen gut gefiel, beschloss ich, ihm eine Chance zu geben.

Jetzt muss ich zugeben, „Alternative Geschichte“ kann sehr interessant und lesenswert sein.
„Vaterland“ ist dieses auf jeden Fall.

Dieser Roman ist darüber hinaus auch noch spannend, denn „Vaterland“ führt nicht nur in einer Art Gedankenexperiment überzeugend vor, wie Deutschland bzw. „Das Großdeutsche Reich“ in den sechziger Jahren ausgesehen haben könnte, wenn Deutschland den 2. Weltkrieg gewonnen hätte, sondern ist insbesondere auch ein Thriller, bei dem diese Szenerie nicht nur als Kulisse dient und der eine konsequente sowie in sich schlüssige Auflösung bietet.

Eine Beschreibung des Inhalts ist schwierig, will man nicht zu viel verraten. Relativ unbedenklich kann aber darauf hingewiesen werden, dass eine Woche vor dem 75. Geburtstag des Führers eine Leiche am Ufer eines der Havelseen entdeckt wird und Xaver März, Mordfahnder der Berliner Kriminalpolizei, die Aufklärung des Falls übernimmt. Da sich weder Kleidung noch Papiere finden lassen, bittet er Otto Koth, den stellvertretenden Leiter der Fingerabdruckabteilung darum, die Abdrücke der Leiche in der Verbrecherkartei nachzuschlagen. Noch am selben Tag erhält er folgenden Anruf:

»Tut mir so leid, Sie zu wecken.« Koth war sarkastisch. »Aber ich dachte, dass dies Vorrang hat. Soll ich morgen nochmal anrufen?«
»Nein, nein.« März war hellwach.
»Sie werden das mögen. Das ist wunderbar.« Zum ersten Mal in seinem Leben hörte März Koth kichern. »Alsdann, Sie spielen doch keine Spielchen mit mir? Das ist doch kein kleiner Witz, den Sie und Jäger sich miteinander ausgeknobelt haben?«
»Wer ist es?«
»Zuerst den Hintergrund.« Koth amüsierte sich viel zu sehr, als dass er sich hetzen ließ. »Wir mussten weit zurückgehen, um die Entsprechung zu finden. Sehr weit zurück. Aber wir haben sie gefunden. Perfekt. Kein Zweifel. Über Ihren Mann gibt es tatsächlich eine Akte. Er ist ein einziges Mal in seinem Leben verhaftet worden. Von unseren Kollegen in München vor vierzig Jahren. Um genau zu sein, am 9. November 1923.«
Schweigen. Fünf, sechs, sieben Sekunden verstrichen.
»Aha! Ich merke, dass selbst Sie die Bedeutung dieses Datums erkennen.«
»Ein alter Kämpfer.« März griff neben den Sessel nach seinen Zigaretten. »Sein Name?«
»In der Tat. Ein alter Parteigenosse. Zusammen mit dem Führer nach dem Putsch im Bürgerbräukeller verhaftet. Sie haben einen der ruhmreichen Pioniere der Nationalsozialistischen Revolution aus dem See gefischt.« Koth lachte wieder. »Ein klügerer Mann hätte ihn da gelassen, wo er war.«
»Wie heißt er?«
(Robert Harris: Vaterland: Goldmann (Lizenz-Ausgabe für die Stern Krimi-Bibliothek) 2005, S. 51 f.)

Bei den weiteren Ermittlungen wird Xaver März schnell deutlich, dass einflussreiche Personen mit skrupelosen Methoden versuchen, sowohl die aktuellen Ereignisse als auch die sich nach und nach abzeichnenden Zusammenhänge zu vertuschen, deren publik werden gerade in Anbetracht des angekündigten Besuches Präsident Kennedys äußerst unpassend wären…

Jedem der Politthriller mag und sich einmal auf andere Weise mit dem Schrecken des Nationalsozialismus auseinander setzen möchte, ist dieser Roman damit zu empfehlen.


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