Lectrix – Notizen einer Leserin

12. August 2007

Harry Mulisch: Siegfried. Eine schwarze Idylle

Filed under: Harry Mulisch — Lectrix @ 22:15

Ich zögere etwas, Harry Mulisch zu kritisieren, denn sein „Das Attentat“ und sein „Die Entdeckung des Himmels“ begeisterten mich sehr. Nichtsdestotrotz gefällt mir „Siegfried. Eine schwarze Idylle“ als Ganzes nicht.

Die Grundidee halte ich zwar für sehr interessant: Es ist schon gewagt, Eva Braun und Hitler ein gemeinsames Kind haben zu lassen, zu dem sie sich allerdings nicht bekennen, sondern es stattdessen als Kind der Hausangestellten ausgeben, wodurch sie es in ihrer Nähe behalten können. Die Stimmung, die damals auf dem Obersalzberg geherrscht haben muss, scheint mir auf jeden Fall überzeugend eingefangen. Auch die Rahmenhandlung mit dem berühmten Schriftsteller, dem die beiden alt gewordenen Hausangestellten zögernd und voll schlechten Gewissens davon erzählen, empfinde ich als gelungen. Die ersten 15 Kapitel des Buches habe ich also mit Genuss und voller Spannung gelesen.

Kapitel 16 und 17 stehe ich jedoch äußerst skeptisch gegenüber, denn einerseits finde ich einen Teil der dort angestellten Überlegungen durchaus interessant, aber andererseits halte ich die daraus gezogenen Schlüsse und festgestellten Zusammenhänge für bestenfalls abwegig.

Bezüglich der fiktiven Auszüge aus Eva Brauns Tagebuch, die Kapitel 18 darstellen, schwanke ich noch, denn einerseits fand ich diese durchaus faszinierend und die Stimmung im Führerbunker wahrscheinlich passend wieder gegeben, doch andererseits erscheint mir die darin enthaltene Begründung für den Befehl Hitlers zur Ermordung seines Sohnes nicht überzeugend.

Den Rest gab mir dann jedoch das 19. und letzte Kapitel des Buches. Hatte ich zuvor die angeblichen Alpträume Hitlers noch als hinnehmbar angesehen, empfinde ich die abschließende Mystifizierung durch Wiederaufnahme des »…er…er…er ist hier…« als völlig unnötig.

Ich legte das Buch also nach dem Lesen der letzten Seite enttäuscht fort.

Nachdem ich, zwecks Verfassens dieser Beschreibung, etliche Passagen nochmal gelesen habe, muss ich jedoch einräumen, dass ich meinen Eindruck nach der ersten Lektüre, der in mir das Gefühl aufkommen ließ, Harry Mulisch kritisieren zu müssen, relativieren muss. Das Buch ist schon gelungen. Harry Mulisch ist darum nicht als Autor zu kritisieren. Er vertritt an einigen Stellen allerdings Positionen, Ansichten, Einsichten – bzw. lässt diese sein Alter Ego vertreten -, die ich nicht teilen kann. Literarisch ist das Buch aber dennoch wertzuschätzen.


6. August 2007

Joanne K. Rowling: Harry Potter and the Deathly Hallows

Filed under: Joanne K. Rowling — Lectrix @ 23:30

Zu diesem Buch brauche ich vermutlich nicht mehr zu schreiben als:
Mir hat es gefallen
(- auch wenn ich auf das letzte Kapitel gut hätte verzichten können).


12. Juli 2007

Leo Perutz: Der Judas des Leonardo

Filed under: Leo Perutz — Lectrix @ 14:00

Schon seit langem hatte ich vor, einen Roman von Leo Perutz zu lesen, da ich in den letzten Jahren des öfteren auf Beschreibungen seines Lebens und seines Werkes stieß, die mein Interesse weckten. Und in diesem Jahr, in dem sich sein Todestag zum 50. Mal jährt, schaffte ich es endlich, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Nach einigem Zögern entlieh ich mir zu diesem Zweck „Der Judas des Leonardo“ aus der Stadtbibliothek. Zögernd, weil auch „St.Petri-Schnee“ und „Nachts unter der steinernen Brücke“ da waren, zu denen ich schon vielversprechende Rezensionen kannte, während mir bezüglich „Der Judas des Leonardo“ zu diesem Zeitpunkt nur bekannt war, dass dieses erst posthum veröffentlicht wurde. Aber die Inhaltsbeschreibung im Umschlag dieses Buches verlockte mich, wurde dort doch behauptet, dass es sich um einen „abenteuerlichen Roman“ handele, der „in Mailand an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert“ spiele und „sich um Leonardo da Vinci, der im Refektorium des Klosters Santa Maria delle Grazie endlich sein »Abendmahl« vollenden möchte,“ drehe. Und dann heißt es dort weiter: „In einem überaus spannenden Geschehen läßt Perutz den Leser die Suche nach »dem allerschlechtesten Menschen in ganz Mailand« miterleben – nur er könnte das Modell für Judas, den Verräter, sein.“

Nach der Lektüre muss ich dreierlei festhalten:

1. Dieses Buch hat mich fasziniert und ist wirklich lesenswert.
2. Spannend im Sinne eines Thrillers ist es indes gewiss nicht.
3. Die Inhaltsbeschreibung lässt zudem das Wesentliche unerwähnt.

Denn auch wenn das Geschehen Ende des 15. Jahrhunderts in Mailand angesiedelt ist und Leonardo da Vinci eine wichtige Rolle zukommt, lässt Perutz den Leser nicht an einer aktiven Suche Leonardos nach seinem Judas Modell teilnehmen. Vielmehr lässt Perutz das spätere Modell und Leonardo sich mehrmals im Verlauf der Geschichte knapp verpassen bzw. begegnen, aber nicht bewusst wahrnehmen:

Unten im alten Hof stand noch immer der deutsche Roßkamm. Er hielt einen ledernen Beutel in der Hand, denn man hatte ihm sein Geld nur zum Teil in guten Wechseln ausgezahlt, achtzig Dukaten hatte er in barem empfangen. Er war ein ungewöhnlich schöner Mann, so um die Vierzig, hochgewachsen, mit lebhaft blickenden Augen und einem dunklen Bart, den er auf levantinische Art geschnitten trug. Er war in guter Laune und mit der Welt, wie Gott sie geschaffen hatte, zufrieden, weil er für die beiden Pferde den Preis erhalten hatte, den zu erzielen sein Vorsatz gewesen war.
Wie er nun einen Mann von achtunggebietendem, ja beinahe furchterweckendem Aussehen über den Hof gehen und auf sich zukommen sah, dachte er zunächst, das sei einer, den der Herzog zu ihm geschickt habe, und vielleicht sei mit den Pferden etwas nicht in Ordnung. Bald aber erkannte er, daß dieser Mann in tiefen Gedanken ging und gar nicht ein bestimmtes Ziel vor Augen hatte. So trat er einen Schritt zur Seite, um ihm den Weg freizugeben, wobei er den Beutel mit dem Gelde in die Tasche seines Mantels zu zwängen suchte, und zugleich warf er mit einem erstaunt fragenden Ausdruck in seinem Gesicht den Kopf ein wenig zurück wie ein Mann, der geneigt ist, Erklärungen anzunehmen und unter Umständen Bekanntschaften zu machen.
Aber Messer Leonardo, der mit seinen Gedanken bei dem Judas seines Abendmahls war, hatte keinen Blick für ihn.
(Leo Perutz: Der Judas des Leonardo, herausgegeben von Hans-Harald Müller, Paul Zsolnay Verlag: Wien/Darmstadt 1988, S. 24 f.)

Diesem Roßkamm fällt folgend eine der Hauptrollen zu. Die Beschreibung dessen, was ihm während seines Aufenthaltes in Mailand widerfährt, welche Entscheidungen er aus welcher Geisteshaltung heraus trifft, wie er sich verhält und wodurch er sich letztlich für die zweifelhafte Ehre als Modell zu dienen ‚qualifiziert‘, nimmt den größten Teil des Buches ein.

Weitere Protagonisten, denen gewichtige Rollen zufallen, sind der geizige Wucherer und seine wunderschöne Tochter, die in ihrer Überzeichnung zum Einen als literarische Figuren klar erkennbar sind und zum Anderen eindeutige Zuordnungen erlauben.

Demzufolge handelt es sich meines Erachtens eigentlich nicht um einen historischen Roman, auch wenn das Hintergrundscenario schillernd eingefangen ist und auch wenn die geschichtlichen Fakten sauber recherchiert sein mögen, sondern eher um eine Novelle, denn im Kern geht es (wie z.B. auch bei Michael Kohlhaas oder beim Schimmelreiter) um die alte Frage: Wie wichtig wird das Festhalten an Prinzipien eingeschätzt und welchen Preis ist man bereit, dafür zu zahlen?

Spannend ist bei diesem Buch also weniger die konkrete Handlung, sondern mehr das Zusammenspiel der verschiedenen Figuren, das Nebeneinander der unterschiedlichen Auffassungen von dem, was im Leben wirklich wichtig ist, und die Frage, welche Sichtweise am Ende die Oberhand gewinnen wird – und mit welchen Folgen.
Interessant ist in diesem Buch auch die exemplarische Vorstellung unterschiedlicher Verständnisse von Kunst und der Entstehung eines Kunstwerkes.
Darüber hinaus sind die malerischen, detailreichen Beschreibungen für Leser, die Erzählungen zu schätzen wissen, ein wahrer Genuss.


23. Juni 2007

Amelie Nothomb: Der Professor

Filed under: Amelie Nothomb — Lectrix @ 9:02

Die erste Hälfte dieses Romans gefiel mir sehr gut.

Gelungen ist die Geschichte eines in die Jahre gekommenen Ehepaars, das sich für den friedlichen Lebensabend ein Häuschen auf dem Land geleistet hat, aber durch die täglichen Besuche des unmöglichen Nachbarn – er kommt jeden Tag Punkt 16 Uhr und geht erst um Punkt 18 Uhr wieder – immer mehr gestört fühlt, den abzuweisen Ihnen aber ihre Höflichkeit verbietet. Die langjährige liebevolle Beziehung zwischen dem ehemaligen Lateinlehrer und seiner Frau, die sowohl in ihrem alltäglichen Umgang miteinander als auch in seinen Erinnerungen zum Ausdruck kommt, ist herrlich romantisch. Die Gedankengänge und Befürchtungen dieses gebildeten und wohlerzogenen Mannes sind stets nachvollziehbar. Die zunehmende, eigentlich eher irrationale Bedrängnis ist jedoch zugleich hervorragend eingefangen.

Man kann sich nicht vorstellen, wie langsam die Tage verstreichen. Alle Welt behauptet, die Zeit verginge schnell. Es stimmt nicht.
In diesem Januar stimmte es weniger denn je. Genauer gesagt, jede Periode des Tageslaufs hatte ihr eigenes Tempo: Die Abende lang und geruhsam, die Morgen kurz und hoffnungsvoll. Zu Beginn des Nachmittags beschleunigte eine unausgesprochene Angst den Minutentakt zu einem Wirbel. Und dann, um vier Uhr, blieb die Zeit stehen.
Es war schlecht eingeteilt: Der schmale Streifen Zeit, der Monsieur Bernadin zufiel, wurde schließlich zum Haupteil unseres Tagesablaufs. Wir wagten es uns nicht einzugestehen, aber wir waren sicher, in diesem Punkt gleicher Meinung.
Ich hatte die Aufgabe des heldenmütigen Widerstands übernommen. Das unser Gast uns belästigte und gar nichts sagte – war es da nicht logisch, daß ich ihn mit einem Schwall pausenlosen und nichtssagenden Geredes überschüttete? Pausenlos, damit ich mich nicht langweilte, und nichtssagend, damit ich ihn langweilte.
(Amélie Nothomb: Der Professor, übersetzt von Wolfgang Krege, Zürich: Diogenes1996, S. 76)

Hätte die Autorin es einfach dabei belassen – mit einem offenen Ende, oder mit einer Kapitulation, die im Wegzug des älteren Ehepaars Ausdruck hätte finden können, oder meinetwegen auch in einer Eskalation, die im Mord am Nachbarn gipfelt -, dann würde ich dieses Buch nun in den höchsten Tönen loben und anpreisen, denn bis S. 82 fand ich es wirklich gut.

Aber auf S. 82 lässt Amelie Nothomb die Frau des Nachbarn auftauchen – und mit dieser überspannt sie (für mich) den Bogen, Das wäre nicht nötig gewesen und hat mir den Spaß an diesem Buch genommen.

Ich habe es zwar noch zu Ende gelesen, aber dieses neue Problem und die in meinen Augen zweifelhafte Lösung, die am Ende gefunden wird, konnten mich nicht überzeugen.

Für mich stellt dieser Roman somit eine verpasste Chance dar.


17. Juni 2007

Iain Pears: Das Portrait

Filed under: Iain Pears — Lectrix @ 21:09

Weil mir „Das Urteil am Kreuzweg“ und „Scipios Traum“ so gut gefielen, suchte ich in der Bibliothek nach einem weiteren Buch von Iain Pears und stieß dabei auf „Das Portrait“. Während „Das Urteil am Kreuzweg“ und „Scipios Traum“ sehr umfangreiche Werke mit über 1000 Seiten sind, umfasst „Das Portrait“ noch nicht einmal 200. Diese knapp 200 Seiten haben es jedoch in sich:

Der ganze Text besteht aus einem einzigen Monolog, den ein Künstler seinem Modell hält, während er es porträtiert. Bereits bei den ersten Worten merkt man, dass das Verhältnis zwischen dem Künstler und dem Modell äußerst angespannt ist. Nach und nach erfährt man, dass es sich bei dem Modell um einen angesehenen Kunstkritiker handelt und dass sie sich einst sehr nahe standen. Immer deutlicher spürt man jedoch auch, welche Distanz nun besteht und wie viel Hass der Künstler empfindet. Im Verlauf des Monologs erzählt der Künstler nach und nach seine Lebensgeschichte, lässt sich über das Verhältnis zwischen Kunst, Kritik und Käufern aus und erklärt dabei seinem Modell die Zusammenhänge, die zu einigen tragischen Geschehnissen vor ein paar Jahren, seinem Rückzug aus dem Kunstgewerbe und zu seinen heutigen Gefühlen führten.

Iain Pears gelingt es meisterhaft, die Spannung bis zuletzt aufrecht zu erhalten, das ganz allmähliche Kippen des Machtverhältnisses zwischen dem Künstler und dem Kunstkritiker – bzw. nun Modell – zu verfolgen und die Rache des Künstlers vorzubereiten.

Ganz nebenbei führt Iain Pears den Leser zudem in die Kunst der Jahrhundertwende ein, bietet einen literarischen Einblick in die malerischen Umbrüche dieser Zeit und umrandet das Ganze mit einer Beschreibung der damaligen Gesellschaft und ihrer Gepflogenheiten.

Dieser Roman hat mir sehr gut gefallen.
Ich kann die Lektüre dieses Buches nur empfehlen.


10. Juni 2007

Alessandro Baricco: Novecento. Die Legende vom Ozeanpianisten

Filed under: Alessandro Baricco — Lectrix @ 21:07

Als ich einer Bekannten neulich von „Seide“ vorschwärmte, beschloss sie, diese Geschichte ebenfalls lesen zu wollen, denn ihr gefiel vom selben Autoren „Novecento“ ausgesprochen gut, welches sie mir im Gegenzug empfahl und das ich daraufhin auf die Liste meiner aus der Bibliothek zu entleihenden Bücher aufnahm.

Bei nächster Gelegenheit entlieh ich dieses kleine Büchlein, welches in relativ großer Schrift gerade mal 69 Seiten umfasst und laut Einleitung des Autoren etwas enthält, das zwischen einem „richtigen Bühnenstück und einer laut zu lesenden Erzählung schwankt“ – und darum begann ich noch am selben Abend es meinem Lebenspartner vorzulesen.

Und wiederum schaffte es Alessandro Baricco uns direkt in seinen Bann zu ziehen:

Das war er wirklich, der Größte. Wir spielten Musik, aber er war was anderes. Er spielte… Das gab’s noch nicht, bevor er es spielte, okay?, das gab’s nirgendwo. Und wenn er vom Klavier aufstand, war es wieder weg… und es war weg für immer. Danny Boodmann T.D. Lemon Novecento. Das letzte Mal, als ich ihn sah, saß er auf einer Bombe. Im Ernst. Er saß auf einer Riesenladung Dynamit. Eine lange Geschichte… Er sagte: »Du bist nicht wirklich aufgeschmissen, solange du noch eine gute Geschichte hast und jemandem, dem du sie erzählen kannst.« Er hatte sie… eine gute Geschichte. Er war seine gute Geschichte. Eine verrückte, wenn man es recht bedenkt, aber eine schöne… Und damals, als er auf diesem ganzen Dynamit saß, hat er sie mir geschenkt. Weil ich sein bester Freund war, ja. Aber dann habe ich einigen Mist gebaut, und selbst wenn man mich auf den Kopf stellt, kommt nichts mehr aus meinen Taschen, sogar die Trompete habe ich verkauft, alles, aber… diese Geschichte, nein… die habe ich nicht verloren, sie ist noch da, klar und unerklärlich wie nur die Musik war, wenn mitten auf dem Ozean das Zauberklavier von Danny Boodmann T.D. Lemon Novecento sie spielte.
(Alessandro Baricco: Novecento. Die Legende vom Ozeanpianisten, Piper: München 1999, S. 19 f.)


20. Mai 2007

Terry Pratchett: Der Winterschmied. Ein Märchen von der Scheibenwelt

Filed under: Terry Pratchett — Lectrix @ 21:58

Im Regal eines Freundes entdeckte ich am ersten Mai das Buch „Der Winterschmied. Ein Märchen von der Scheibenwelt“. Ich drängte ihn direkt, es uns zu leihen, wartete ich doch schon seit Februar auf eine solche Gelegenheit und hatten wir zudem gerade den „Erdzauber“ beendet und überlegten, was wir als nächstes lesen sollten.

So las mir mein Lebenspartner diesen neuesten Roman von Terry Pratchett in den letzten Tagen vor und wir hatten eine Menge Spaß bei der Lektüre. Insbesondere natürlich bei den Passagen, in denen die Wir-sind-die Größten sich mal wieder von ihren besten Seiten zeigen, wie z.B.:

»Einen Brief?«, fragte Tiffany, während der Webstuhl hinter ihr klackte und der Doofe Wullie einen schmutzigen, zusammengerollten Umschlag hervorzog.
»Er is‘ von dem kleinen Rotzlöffel im Schloss daheim«, fuhr Rob fort, während sein Bruder den Brief ablieferte. »Er schreibt, dasses ihm gut geht und dassa hofft, dasses dir ebenfalls gut geht, un‘ er freut sich auf deine möglichst baldige Heimkehr, und dann schreibt er viel über Schafe und so, eher langweiliges Kram, meiner Meinung nach, und unten drunter hat er S.W.A.L.K. geschrieben, aber wir ham noch nich‘ herausgefunden, was das bedeutet.«
»Du hast den Brief an mich gelesen?«, fragte Tiffany entsetzt.
»O ja«, bestätigte Rob stolz. »Null Problemo. Billy Breitkinn hier hat mir bei den längeren Worten den ein oder anderen Tipp gegeben, aber das meiste habe ich ganz allein rausgekriegt, ja.«
(Terry Pratchett: Der Winterschmied. Ein Märchen von der Scheibenwelt, München: Manhattan 2007, S. 64)

Auch in „Der Winterschmied. Ein Märchen von der Scheibenwelt“ finden sich darüber hinaus wieder einige treffende Beschreibungen menschlichen Verhaltens, die man – Hexen hin oder her – auch in unserer Welt alltäglich beobachten und wieder erkennen kann. Dabei kommen durchaus auch komplexere Zusammenhänge, Einsichten und Lebensweisheiten zum Ausdruck, die obwohl in Pratchetts humorvollem Stil und in einer Fantasyumgebung präsentiert doch nicht weniger wahr sind:

»Wen gedenkst du an ihre Stelle zu setzen?«, fragte Fräulein Tick, denn sie erfuhr Neuigkeiten gern als Erste. Sie sagte »gedenkst du«, weil sie der Ansicht war, dass es gebildeter klang als ein schlichtes »willst du«.
»Die Entscheidung liegt nicht bei mir, Fräulein Tick«, sagte Oma Wetterwachs scharf. »Es gibt kein Hexenoberhaupt, wie du weißt.«
»Oh, natürlich«, erwiderte Fräulein Tick, die auch wusste: Das Oberhaupt, das die Hexen nicht hatten, war Oma Wetterwachs. »Frau Ohrwurm schlägt bestimmt die junge Annagramma vor, und Frau Ohrwurm hat derzeit recht viel Einfluss. Das liegt vermutlich an den Büchern, die sie schreibt. Bei ihr klingt die Hexerei ziemlich aufregend.«
»Wie du weißt, mag ich keine Hexen, die versuchen, anderen ihren Willen aufzuzwingen«, sagte Oma Wetterwachs.
»In der Tat«, entgegnete Fräulein Tick und versuchte, nicht zu lachen.
»Ich werde allerdings bei den Gesprächen über Fräulein Verrats Nachfolgerin einen Namen fallen lassen«, kündigte Oma Wetterwachs an.
Und zwar ziemlich laut, dachte Fräulein Tick. »Petulia Knorpel hat sich gut entwickelt«, sagte sie. »Könnte zu einer vielseitigen Hexe werden.«
»Ja, aber ihre Vielseitigkeit betrifft vor allem Schweine«, meinte Oma Wetterwachs. »Ich dachte an Tiffany Weh.«
»Was?«, entfuhr es Fräulein Tick. »Glaubst du nicht, sie hat schon genug am Hals?«
Ein flüchtiges Lächeln glitt über Oma Wetterwachs‘ Gesicht. »Wie heißt es so schön, Fräulein Tick: Wenn du etwas erledigt haben möchtest, so beauftrage jemanden, der beschäftigt ist! Und die kleine Tiffany wird bald sehr beschäftigt sein«, fügt sie hinzu.
(Terry Pratchett: Der Winterschmied. Ein Märchen von der Scheibenwelt, München: Manhattan 2007, S. 121 f.)

Womit Tiffany dann sehr beschäftigt ist, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Es sei abschließend nur gesagt, dass „Der Winterschmied. Ein Märchen von der Scheibenwelt“ unserer Meinung nach das (bisher) beste Buch der Reihe um Tiffany Weh ist, auch wenn uns „Kleine freie Männer. Ein Märchen von der Scheibenwelt“ und „Ein Hut voller Sterne. Ein Märchen von der Scheibenwelt“ bereits sehr gut gefielen.

Ob es wohl noch einen vierten Teil geben wird?
Wir hoffen es, denn wir würden ihn auf jeden Fall lesen wollen.


19. April 2007

Paul Claes: Der Phoenix

Filed under: Paul Claes — Lectrix @ 22:00

Inzwischen habe ich nun auch das Buch gelesen, das ich eigentlich für die Osterfeiertage mitgenommen hatte: „Der Phoenix“ von Paul Claes.

Es wurde von mir nicht gezielt aus der Bibliothek ausgeliehen, sondern fiel mir ins Auge als ich im Regal eigentlich nach einem weiteren Buch von Jonathan Carroll suchte. Der Titel erregte meine Aufmerksamkeit und folgende Behauptung auf dem Umschlag weckte meine Neugierde:

Was Umberto Eco mit »Der Name der Rose« begann, hat Paul Claes mit »Der Phoenix« in der Renaissance fortgesetzt.

Und jetzt stehe ich vor der Herausforderung, diesem Werk in einem Beitrag hier gerecht zu werden…
…eine Aufgabe, die nicht leicht fällt, obwohl ich das Buch mit großem Interesse las.

Vielleicht beginne ich damit, zu erwähnen, dass es sich zumindest im Prinzip um einen Krimi handelt: Der Dichter Angelo Poliziano verstirbt unerwartet an heftigem Fieber. Giovanni Pico della Mirandola zweifelt daran, dass sein Freund eines natürlichen Todes starb und versucht zu ermitteln, was wirklich geschah. Seiner Ausbildung und seinen Überzeugungen gemäß geht er recht philosophisch an den Fall heran:

Pico stellte sich die sieben Fragen, die jeder Anwalt zur Sprache bringen muss, wenn er in der Öffentlichkeit ein Verbrechen untersucht. Laut rezitierte er den lateinischen Vers, der sie memorierte: Quis, quid, ubi, quibus, auxiliis, cur, quomodo, quando? Wer, was, wo, womit, warum, wie, wann?
Wer? war die Frage nach dem Schuldigen des Verbrechens. Diese Frage konnte erst definitiv beantwortet werden, nachdem auf alle anderen Fragen eine Antwort gefunden war.
Was? war die Frage nach dem Gegenstand des Verbrechens. Bei einer Tat mit Todesfolge war das wichtigste Beweisstück die Leiche selbst, das corpus delicti.
Wo? […]
Womit? […]
Warum? war die Frage nach dem Motiv des Verbrechens. Jedes Verbrechen war die Folge einer menschlichen Schwäche. Das Mordmotiv war vermutlich eine Todsünde. Pico erwog die verschiedenen Möglichkeiten und kam dabei zu sechs verschiedenen Geschichten: Neid, Habsucht, Wollust, Zorn, Gier, Stolz. Konnte man auch aus Trägheit morden? Er zweifelte und verwarf schließlich diese Möglichkeit.
Wie? […]
Wann? […]
Pico war mit seiner Denkarbeit zufrieden. Frau Dialectica hatte ihren Diener noch nie im Stich gelassen und würde es auch diesmal nicht tun. In diesem Augenblick fasste sein unbeugsamer Wille den Entschluss, den Freund zu rächen und dessen Feind zu bestrafen, indem er das Verbrechen durch logisches Nachdenken aufklärte.
Aber wer war dieser geheimnisvolle Feind Polizianos gewesen?
(Paul Claes: Der Phoenix, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2001, S. 80 f.)

Während sich diese Herangehensweise mit heutigen Ermittlungsverfahren noch größtenteils deckt – auch wenn sich moderne Kriminalisten der lateinischen Formulierungen und der antiken Ursprünge nicht mehr bewusst sein mögen -, ist die Verwendung der Methoden der Kabbala und auch der Versuch den Täter durch Interpretation eines Gemäldes von Botticelli zu ermitteln dann eher ungewöhnlich.

Doch auch wenn der Fall letztendlich aufgeklärt wird und die Auflösung in sich stimmig ausfällt, geht es in diesem Buch eigentlich weniger um einen Mord und dessen Aufklärung.

Es handelt sich meines Erachtens vielmehr um einen Versuch die Überzeugungen und Ziele des Humanisten und Philosophen Giovanni Pico della Mirandola in ansprechender Verpackung zu vermitteln. Dazu wird in recht langen Rückblenden auf dessen bisheriges Leben eingegangen und seinen Überlegungen Raum gegeben:

Averroes hatte die Lehre von der Doppelten Wahrheit verteidigt: Die göttliche Offenbarung wie die menschliche Vernunft besaßen je einen unterschiedlichen Bereich; Theologie und Philosophie waren unvereinbar. Pico hatte jedoch nie hinnehmen wollen, dass der Gott der Theologen ein anderer sein könnte als der Gott der Philosophen. Er wollte beide, den göttlichen Vater und den menschlichen Sohn, in der Einheit des Geistes miteinander versöhnen.
Aber bevor er Religion und Philosophie vereinen konnte, musste er zuerst beweisen, dass alle Philosophen im Grunde dasselbe behaupteten, selbst diejenigen, die sich am unversöhnlichsten gegenüberstanden: die Platoniker und die Peripatetiker, die Realisten der Idee und die Nominalisten der Kategorie.
Er wollte nicht auf das Wort nur eines Herrn schwören, sondern so viele Gelehrte wie möglich hören, ihre Werke studieren und jede philosophische Schule kennen lernen. Wie Aristoteles akzeptierte er nur einen Ehrentitel, ho anagostes, der Leser.
(Paul Claes: Der Phoenix, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2001, S. 45)

Da die Handlung im Florenz des Jahres 1494 angesiedelt ist, kann darüber hinaus auch noch ein kleines Sittengemälde der italienischen Renaissance entworfen sowie der Konflikt zwischen den Medici und Savonarola, der den Gottesstaat errichten will, aufgenommen werden, da die ambivalente Stellung Giovanni Pico della Mirandola gegenüber diesen beiden Parteien natürlich Auswirkungen auf sein Verhalten und seine Einschätzung der Lage hat.

Insgesamt also ein sehr vielschichtiges Buch.

Die Lektüre ist zugegeben nicht ganz einfach,
aber aufgrund der vielen Verknüpfungen ausgesprochen interessant.


13. April 2007

Terry Pratchett: Wahre Helden / The Last Hero

Filed under: Terry Pratchett — Lectrix @ 16:00

Mit viel Vergnügen las ich die englische und die deutsche Fassung dieses Romans von Terry Pratchett parallel.

Ich kann nun nicht sagen, welche mir besser gefiel, denn einerseits lassen sich viele herrlich lautmalerisch eingefangene Szenen und Ausdrucksweisen kaum angemessen ins Deutsche übertragen. Zum Beispiel:

Lord Vetinari stared along the table. A lot had been happening in the past few hours.
‚If I may recap, then, ladies and gentlemen ,‘ he said, as the hubbub died away, ‚according to the autorities in Hunghung, the capital of the Agatean Empire, the Emporer Ghengiz Cohen, formerly known to the world as Cohen the Barbarian, is well en route to the home of the gods with a device of considerable destructiv power and the intention, apparently, of, in his words, „returning what was stolen“. And, in short, they ask us to stop him.‘
‚Why us?‘ said Mr Boggis, head of the Thieves‘ Guild. ‚He’s not our Emperor!‘
‚I understand the Agatean government believes us to be capable of anything‘, said Lord Vetinari. ‚We have zip, zing, vim and a go-getting, can-do attitude.‘
‚Can do what?‘
Lord Vetinari shrugged. ‚In this case, save the world.‘
(Terry Pratchett: The Last Hero, London: Gollancz 2002, S. 97)

„Wir haben jede Menge Schwung und Elan, außerdem eine Ran-an-die-Buletten-und-das-kriegen-wir-schon-hin-Einstellung“ trifft „We have zip, zing, vim and a go-getting, can-do attitude“ meines Erachtens nicht ganz.

Andererseits hat der Übersetzer Andreas Brandhorst fast überall sonst angemessene Übersetzungen gefunden, hervorragend geschafft die Stimmung zu transportieren und an manchen Stellen das Original sogar noch übertroffen. So mag zwar „Das ich bin“ eine schwache Übersetzung von „Dat’s me“ sein, wenn es sich dabei um den Namen eines unterbelichteten Trolls handelt, aber dafür schlägt „Finsterer Fred Fürchterlich“ in meinem Empfinden als Name eines Unheilsfürsten „Evil Harry Dread“ um Längen.

Ich halte also sowohl die Lektüre in der Originalsprache als auch die Lektüre der deutschen Ausgabe für empfehlenswert. Die Geschichte um den Wettlauf zum Sitz der Götter zwischen dem in die Jahre gekommenen Cohen mit seiner Grauen Horde und dem Unheilsfürsten mit seinem Gefolge auf der einen Seite und Rincewind, Karotte sowie Leonard of Quirm auf der anderen Seite ist einfach herrlich. Man sollte nur auf jeden Fall darauf achten, dass man ein Buch erwirbt/ausleiht, welches auch die Illustrationen von Paul Kidby enthält, da diese einfach mit dazu gehören und sehr viel zum Amüsement beitragen.


10. April 2007

Alessandro Baricco: Seide

Filed under: Alessandro Baricco — Lectrix @ 22:00

Ich habe dieses Büchlein inzwischen schon einige Male gelesen.

Nun las ich es meinem Lebenspartner vor
– und die Melancholie dieses wundervollen Romans verzauberte uns beide.

Erstaunlich, wie mit so schlichten Worten, so nüchternen Sätzen und so häufigen Wiederholungen ganzer Passagen so viel Atmosphäre vermittelt werden kann.

Ein echtes Kunstwerk.


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